Der Kuss des Jägers
Taschenbuch ein. »Ich fürchte,
ich muss nehmen, was ich kriegen kann.« Ihr fiel auf, dass dies erst recht für
die benötigten Gegenstände galt. »Ein Kreuz oder Kruzifix finde ich vermutlich
in jedem Kaufhaus, aber hast du eine Ahnung, wo ich Weihwasser oder gar dieses
Christam …«
»Chrisam!«
»… dieses Chrisam herbekommen soll? Ich kann doch keine Flasche aus
diesen Becken abfüllen, in die man am Kircheneingang die Finger tunkt, um sich
zu bekreuzigen.« Nicht nur, dass es ausgesprochen peinlich gewesen wäre, sie
hatte diese Becken auch zu flach in Erinnerung, um nennenswert viel Wasser
daraus schöpfen zu können.
Wieder kratzte sich Alex mit ratlosem Blick an der Schläfe. »Tja,
also, Jean bekommt es immer von … Ah!« Er schoss förmlich zu einem anderen
Regal und bückte sich, um eine Schachtel von der Größe eines Schuhkartons
darunter hervorzuziehen. Triumphierend hielt er sie ihr entgegen. »Jeans
Erste-Hilfe-Kasten, wenn du so willst. Den hat er mal hier deponiert, nachdem
ein Besessener unten im Laden randaliert hat und wir ohne ihn etwas
aufgeschmissen waren. Ist seitdem aber nie wieder vorgekommen. Nimm dir, was du
brauchst.«
»Super! Vielen Dank!« Erleichtert nahm sie ihm den eingestaubten
Karton ab, stellte ihn auf einen der Tische und musste bei dem Gedanken
schmunzeln, ob es für die Wirkung geweihter Flüssigkeiten ein
Mindesthaltbarkeitsdatum gab. Neugierig hob sie den Deckel. Zuoberst lag ein
Zettel, auf dem sie Jeans Handschrift erkannte. Sie überflog die ersten Zeilen
und verstand nur wenige Wörter. »Wahrscheinlich ein lateinischer Exorzismus,
den du im Bedarfsfall ablesen sollst.«
»Ich will dich wirklich nicht rauswerfen«, betonte Alex. »Aber wir
sollten uns beeilen. Es wird auffallen, wenn wir zu lange hier oben
verschwunden sind.«
Sophie erschrak. Wie hatte sie das nur vergessen können? »Ja,
natürlich!« Hastig klaubte sie den Zettel, ein schlichtes Holzkreuz und eine
kleine Glasflasche mit klarer Flüssigkeit aus dem polsternden Stoff, der die
Schachtel auskleidete, und stopfte sie in ihre Tasche. »Soll ich noch
irgendwelche Texte wegen des Schlüssels lesen? Hast du etwas über ihn
rausgefunden?«
Er machte eine vage Geste. »Ich habe da so eine Idee. Nachdem ich
sonst nirgends etwas gefunden habe, bin ich in den Schriften von Mathers’
Golden Dawn Bewegung auf die Schlüssel der Henochischen Magie gestoßen.«
»Wessen was? Pardon, ich komme gerade nicht mit.«
»Aleister Crowley? Kein Begriff?«
»Nein, wer soll das sein? Eine Art Sektenführer?«
»So kann man es auch nennen. Er war Schwarzmagier, Okkultist,
Satanist – was dir lieber ist. Hat ziemlich viel mit Zauberei, Spiritismus und
Drogen herumexperimentiert und magische Zirkel gegründet. Ich kann dir jetzt
nicht seine Lebensgeschichte erzählen, sonst stehen wir morgen noch hier, aber
er war jedenfalls die schillernde Gestalt der Szene
Anfang des letzten Jahrhunderts.«
»Und der hatte den Schlüssel gefunden?«
»Nein. Oder vielleicht doch. Ich weiß noch nicht, was ich davon
halten soll, aber er arbeitete auch mit einem System, das ein Dr. John Dee im
Mittelalter aufgeschrieben hat und Henochische Magie genannt hat. Es ist
ziemlich komplizierte Materie, weil alles in Buchstabenfeldern kodiert ist und
angeblich die Sprache der Engel beinhaltet. Auf jeden Fall gibt es darin auch
irgendwelche Schlüssel, die Tore zu Engelsphären öffnen sollen.«
Überrascht sah sie ihn an. »Das klingt gut! Das muss ich Rafe
erzählen, wenn ich ihn wieder treffe. Die Sprache der Engel zu lesen, sollte
für ihn doch kein Problem sein.«
»Wenn es denn tatsächlich die echte Sprache der Engel ist und nicht
irgendeine Erfindung. Es gibt nämlich durchaus Zweifel am Zustandekommen dieser
Tafeln, weil der Assistent von Doktor …« Er brach ab, als Sophies Handy piepte
und sie es rasch aus der Tasche fischte. Falls die SMS von Rafe kam, musste sie ihm sofort von Alex’ heißer Spur berichten. Hastig las
sie die Nachricht. Ungläubige Freude wallte in ihr auf, doch auch Sorge und
leises Misstrauen. Sie las die Worte noch einmal. Das ist zu
verrückt. Es kann nicht wahr sein.
»Was ist los?«, wollte Alex wissen.
Sophie holte die Absenderdaten auf das Display. Kein Name, nur
Zahlen. »Ist das die Nummer, mit der Jean angerufen hat?«
Er zog sein Handy aus der Hosentasche, drückte ein paar Tasten und
hielt es neben Sophies Telefon. Vor Aufregung begann ihre Hand zu zittern. Die
Nummern waren
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