Der Kuss des Jägers
recht hatte – und das war bei einem Engel
anzunehmen –, war ein scharfes Verhör das Mindeste, was diese Leute verdienten.
In ihrer Aussage hatte sie nicht behauptet, dass die Rothaarige sie ermorden
wollte. Sie hatte nur wiedergegeben, was gesprochen worden war. Darauf, was
Gournay daraus machte, hatte sie keinen Einfluss mehr, es sei denn, sie begann
wieder zu lügen. Aber das würde sie für eine Fremde, an deren Händen womöglich
Blut klebte, gewiss nicht tun.
Die Frau sah sie erwartungsvoll und streng zugleich an. Sympathie zu
wecken, gehörte offensichtlich nicht zu ihren Stärken. Sophie rutschte
unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. Die Kälte, die sie unter der trügerisch
weichen Oberfläche dieses Körpers spürte, stieß sie ab. »Ich … ähm …« Eine
Eingebung ließ sie verstummen. Hatten die Zirkelmitglieder gewusst, worum es
Kafziel bei dem Ritual gegangen war, oder hatte er sie ebenso getäuscht wie
sie? Konnte ihr die Rothaarige mehr über den Schlüssel verraten? Doch sie musste
vorsichtig sein. Die Frau mochte behaupten, mit dem Satanskult gebrochen zu
haben, aber es war besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. »Vielleicht
könnte ich in meiner Aussage noch einmal betonen, dass Sie eigentlich
freundlich zu mir waren und mich in keiner Weise bedrohten, wenn Sie mir dafür
auch weiterhelfen.«
»Wobei?« Die Gier, das Angebot anzunehmen, stand ihrem Gegenüber ins
Gesicht geschrieben, doch in Blick und Stimme schwang unverkennbar Argwohn mit.
»Mich … beschäftigt die Frage, wofür ich tatsächlich geopfert werden
sollte. Sehen Sie, Kaf… äh, Caradec redete mir ein, ich könne durch mein Leben
meinen verstorbenen Verlobten aus der Hölle freikaufen und im Himmel mit ihm
vereint sein. Mir ist jetzt klar, dass es ihm niemals darum ging, aber worum
dann?«
Die Rothaarige kämpfte sichtlich mit einem Lachen.
»Ja, es war naiv von mir«, gab Sophie gereizt zu. »Kommen Sie zur
Sache, wenn Sie sich lange genug über mich amüsiert haben.« War sie wirklich so
gutgläubig, wie ihr ständig alle zu verstehen gaben? Es sind
nur die verderbten Seelen, die mir das einreden wollen. Andererseits
musste sie tatsächlich vorsichtiger werden.
»Tut mir leid«, behauptete die Rothaarige wenig überzeugend. »Es ist
einfach … Ach, lassen wir das. Sie wollen Informationen von mir und ich
Gerechtigkeit von Ihnen. Natürlich ging es Caradec nicht darum, Ihnen
irgendetwas Gutes zu tun. Er hat immer nur an sich gedacht. Daran, wie er noch
mehr Macht erlangen kann. Nun ja, darum geht es bei der schwarzen Magie ja
schließlich auch. Da er jetzt tot ist, muss ich wohl auch nichts mehr
verbergen. Er … hatte einen Pakt mit einem Dämon geschlossen.« Sie sah Sophie
an, als sei ihr bewusst, dass jene sie nun für verrückt halten würde, und
verzog kurz spöttisch die Lippen, bevor sie weitersprach. »Wenn Sie es also
wissen wollen, Sie waren als Gabe für diesen Dämon bestimmt.«
Das sollte alles sein? »Hm, ehrlich gesagt habe ich einen Freund,
der sich mit solchen Dingen auskennt, und so viel konnte er mir auch schon
sagen. Ich hatte mir erhofft, etwas mehr darüber zu erfahren, welche Ziele
Caradec damit verfolgte.«
»Über die Mehrung seiner Macht hinaus?« Die Rothaarige lehnte sich
auf ihrem Stuhl zurück.
»Nun, es gab … aus gewissen Kreisen … Hinweise darauf, dass es ihm
darum gehe, irgendwelche mysteriösen Wächter zu befreien.«
Die Überraschung auf dem Gesicht der Frau wirkte echt. »Dann wissen
diese Leute mehr über seinen Plan als ich. Aber ich gebe zu, dass ich mich für
die Hintergründe nie besonders interessiert habe. Mir genügte, dass uns die Sache
Einfluss und Reichtum verschaffen sollte. Deshalb war auch Sylvaine Caradecs
Stellvertreterin, nicht ich.«
»Er hat also nie etwas über diese Wächter gesagt?«
»Möglicherweise hat er sie erwähnt, und ich habe dem keine Beachtung
geschenkt. In den Beschwörungen kommen immer wieder Wächter vor, unglaublich
viel kryptisches Zeug. Das geht bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen
wieder raus. Alles, was ich weiß, ist, dass er sich in letzter Zeit sehr mit
dem Louvre beschäftigt hat.«
E r drehte sich um und
versuchte, sich noch einmal halbwegs bequem hinzulegen, doch der Teppich in der
Bibliothek des L’Occultisme polsterte den Boden kaum
ab. Auch die zusammengeknüllte Jacke eignete sich nur mäßig als Kopfkissen,
aber das alles war immerhin besser, als sich mit den Clochards um die Bänke an
der Seine zu streiten.
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