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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Enttäuschung musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen, denn er
sah sie mitfühlend an. »Ich werde schon einen Weg finden, um mit dir in Kontakt
zu bleiben.«
    »Weiß deine Anwältin, dass du ausgebrochen bist?«, erkundigte sie
sich in der Hoffnung, er werde ihr wieder Geneviève vorbeischicken, wenn es
sonst keine Möglichkeit gab. Aber vielleicht hatte er auch gegen ihren Rat
gehandelt.
    »Ich bin sicher, dass sie bereits davon erfahren hat«, erwiderte er
lächelnd. »Schließlich war es ein Engel, der …« Er brach ab, als aus einem der
oberen Stockwerke Schritte herabhallten.
    Hastig raffte Sophie ihre Tüten und Taschen zusammen. Wer auch immer
die Treppe herunterkam, sollte sie nicht im trauten Gespräch mit einer so
verdächtigen Gestalt sehen. »Viel Glück, Jean! Lass dich nur nicht erwischen!«
    »Pass auf dich auf!«, murmelte er und beugte sich vor, um rasch ihre
Wange zu küssen, bevor er zur Tür eilte.

    Das letzte Mal, als er an der Station Anvers ausgestiegen
war, hatte Sophie ihn begleitet. Warum war danach alles schiefgegangen? Hätte
er darauf bestanden, dass sie zu dem Gespräch mit Schwester Adelaide mitkam,
wäre das ganze Elend nicht geschehen. Er hätte ahnen müssen, dass ihre
fadenscheinigen Argumente vorgeschoben gewesen waren und in Wahrheit etwas ganz
anderes abgelaufen war. Doch er hatte die leisen Zweifel ignoriert und ihr
vertraut. Einer Frau, die unter dem Einfluss eines Dämons stand. Selbst schuld.
    Er ließ sich mit dem Strom der Touristen aus der Métrostation und in
die Rue de Steinkerque hinauftreiben, die steil den ewig weißen Kuppeln
Sacré-Cœurs entgegenführte. Selbst an einem trüben Tag wie diesem hob sich das
Wahrzeichen Montmartres hell gegen die Wolken ab, als sei es gerade erst erbaut
oder frisch gestrichen worden. Trotz der Wolken war es so warm, dass Jean unter
seiner Kapuze immer mehr schwitzte. Gereizt streifte er sie vom Kopf. In den
heruntergekommenen Sachen, die Alex in einem Secondhandshop und dem eigenen
Kleiderschrank zusammengesucht hatte, ging er in diesem Viertel mühelos als
Einheimischer durch, doch würde er dadurch nicht umso mehr auffallen, sobald er
Gaillards Kirche betrat? Nachdem sich der Abbé als sein Beichtvater aufgespielt
hatte, gehörte Gaillard mit Sicherheit zu den Personen, von denen die Polizei
erwartete, dass er bei ihnen auftauchte. Zumal ihnen dazu außer Gaillard und
Sophie kaum jemand einfallen dürfte, da sie hoffentlich immer noch keine
konkrete Spur zu Alex führte.
    Noch einmal ließ er den Blick über die Touristen schweifen, die eine
ebenso bunte Menge bildeten wie die Händler zu beiden Seiten der Straße.
Souvenirläden und kleine Lokale reihten sich dicht an dicht und beschallten
sich gegenseitig mit Musik, als ob die vielen Menschen mit ihrem Plappern,
Lachen und Rufen nicht laut genug gewesen wären. Er beschloss, sich anzupassen,
und erstand in einem der besser sortierten Geschäfte eine Bermudashorts und ein T -Shirt mit dem Aufdruck »I love Paris«. Während
die asiatische Verkäuferin ihm in akzentgefärbtem Französisch versicherte, dass
er umwerfend aussehe, musterte er sich im einzigen Spiegel. Die am Waschbecken
der Toilette im L’Occultisme schwarz gefärbten Haare
hatten in Kombination mit der Rasur und der Sonnenbrille bereits eine
beachtliche Veränderung ergeben. Die Touristenkluft verwandelte ihn nun
endgültig in einen beliebigen Reisenden, der beinahe überall herstammen konnte.
Zufrieden stopfte er Jeans und Jacke in einen halbwegs dezenten Rucksack und
bezahlte mit einem Teil des Geldes, das Alex ihm geliehen hatte. Wann und wie
er es wohl zurückgeben würde? Hastig verscheuchte er den Gedanken. Ein Schritt nach dem anderen!
    Es fiel ihm nun viel leichter, sich wie selbstverständlich unter die
Leute zu mischen. Sogar die fliegenden Händler auf den Stufen, die sich die
begrünte Anhöhe zur Kirche hinaufwanden, fielen auf sein Outfit herein und
boten ihm ihre Miniatur-Eiffeltürme an. Lächelnd winkte er ab. In der
Hochsaison war das Gedränge auf dem Vorplatz besonders schlimm, doch heute
wusste er es zu schätzen.
    Oben angekommen wandte er sich nach links, um zum Eingang der
kleineren Kirche Saint-Pierre zu gelangen, die neben der den ganzen Hügel
dominierenden weißen Basilika auf den ersten Blick unscheinbar wirkte. Dass der
Großteil der Touristen sie überhaupt nicht wahrzunehmen schien, wunderte ihn
nicht, aber einige folgten doch den Empfehlungen ihrer Reiseführer und

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