Der Kuss des Killers
interessant. Schließlich war er ein Mitglied Ihrer Sekte.«
Selina presste die Lippen aufeinander, winkte jedoch, als Trivane etwas zu ihr sagen wollte, achtlos ab. »Man kann wohl kaum von mir erwarten, dass ich mir die Namen sämtlicher Mitglieder meiner Kirche merke. Schließlich ist unsere Zahl…«, sie spreizte ihre Hände auf dem kleinen Tisch, »Legion.«
»Womöglich wird Ihre Erinnerung ja durch das hier ein wenig aufgefrischt.« Eve schlug einen Aktenordner auf, zog ein Foto daraus hervor und schob es über den Tisch. Aufnahmen von Toten waren immer hässlich.
Selina blickte auf das Bild, verzog den Mund zu einem Lächeln und fuhr mit einem Finger der abermals mit einem Netz geschmückten Hand über das leuchtend rote Blut. »Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Wir treffen uns immer im Dunkeln.« Sie sah Eve reglos ins Gesicht. »So ist es bei uns Brauch.«
»Aber ich kann es mit Bestimmtheit sagen. Er und Lobar waren beide Mitglieder in Ihrer Sekte und sie wurden beide mit der Art von Messer umgebracht, wie es bei Ihren Ritualen verwendet wird.«
»Mit einem Athame. Allerdings ist unsere Religion nicht die einzige, bei der ein solches Instrument verwendet wird. Nachdem Mitgliedern von meiner Kirche derart Gewalt angetan worden ist, sollte die Polizei, statt mit dem Finger auf uns zu zeigen, doch wohl eher darauf bedacht sein uns zu schützen. Denn offensichtlich hat es jemand darauf abgesehen, uns zu eliminieren.«
»Ich hätte gedacht, dass Sie sich selbst zu schützen wissen. Oder ist Ihrem Herrn das Schicksal seiner Jünger etwa völlig egal?«
»Ihr Spott ist lediglich ein Beweis dafür, wie unwissend Sie sind.«
»Mit einem achtzehnjährigen Straftäter zu schlafen ist auch nicht gerade ein Beweis für Reife. Haben Sie auch mit Wineburg Sex gehabt?«
»Wie ich bereits sagte, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt kannte. Doch wenn ja, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich auch mit ihm Sex hatte.«
»Selina«, fiel ihr Trivane ins Wort. »Sie versuchen, meine Mandantin zu ködern, Lieutenant. Dabei hat sie bereits erklärt, dass sie dieses Opfer nicht eindeutig identifizieren kann.«
»Sie hat ihn gekannt. Sie beide haben ihn gekannt. Er war ein Maulwurf. Wissen Sie, Ms. Cross, was ein Maulwurf in unserer Sprache ist? Ein Informant, ein Spitzel.« Eve erhob sich und beugte sich zu Selina über den Tisch. »Hatten Sie Angst, dass er mir zu viel verraten haben könnte? War das der Grund, weshalb Sie ihn verfolgen und ermorden haben lassen?« Sie blickte kurz zu Trivane. »Vielleicht lassen Sie Ihre… Jünger ja grundsätzlich beschatten.«
»Alles, was ich sehen muss, sehe ich im Rauch.«
»Ach ja, im Rauch. Die Seherin als übersinnliche Version des Spanners. Es war riskant für Wineburg, auf der Totenwache für Alice zu erscheinen. Weshalb, glauben Sie, wollte er Alice noch mal sehen? War er in der Nacht dabei gewesen, in der sie unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden war? Hat er sie vielleicht ebenfalls gehabt?«
»Alice war eine willige Novizin.«
»Sie war ein Kind, ein verwirrtes Kind. Sie haben eine Vorliebe dafür, junge Menschen zu verführen, habe ich nicht Recht? Mit ihren festen Leibern und ihren weichen, formbaren Geistern sind sie viel interessanter als mittelalterliche Trottel wie Wineburg einer war. Leute wie Wineburg und Ihr ehrenwerter Anwalt locken Sie nur ihres Geldes und ihres Prestiges wegen an. Aber Menschen wie Alice sind zart und köstlich.«
Selina blickte sie unter ihren dichten, dunklen Wimpern hindurch selbstgefällig an. »Sie war tatsächlich zart und köstlich. Sie hat genossen und wurde genossen. Sie brauchte nicht angelockt zu werden, Dallas. Sie kam freiwillig zu mir.«
»Und jetzt ist sie tot. Drei Tote. Die Mitglieder Ihrer Sekte werden allmählich doch bestimmt etwas nervös.« Eve lächelte Trivane schmal an. »Ich an ihrer Stelle wäre es ganz sicher.«
»Es hat schon immer Märtyrer gegeben. Menschen werden seit Jahrhunderten ihres Glaubens wegen umgebracht. Und trotzdem hat der Glaube stets überlebt. Wir werden überleben. Wir werden triumphieren.«
Eve zog ein zweites Foto aus dem Ordner und warf es auf den Tisch. »Er nicht.«
Das Bild zeigte Lobars in grelles Licht getauchten verstümmelten Leichnam. Die Wunde an seiner Kehle klaffte wie ein Schrei.
Eve beobachtete Trivane. Er begann schockiert zu blinzeln, atmete keuchend ein und aus und wurde kreidebleich.
»Er hat nicht überlebt, nicht wahr?«
»Sein Tod ist
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