Der Kuss Des Kjer
wohl Kerzen ersetzten. In zwei davon brannten kleine Feuer und tauchten alles in mildes Dämmerlicht. In der Wand zu ihrer Rechten hob sich das helle Holz einer Tür von dem Grau des Steines ab und direkt gegenüber war ein Bogenfenster aus dem Felsen gehauen, das den Blick in eine Art Innenhof freigab. Von draußen drangen gedämpft Stimmen und das Schnauben und Stampfen von Pferden herein. Auf der dritten Seite des Raumes war eine große, halbrunde Kaminstelle in das massive Gestein geschlagen, eine große Kupferschale war in den Boden eingelassen und eine hohe Amphore stand an der Wand daneben - und an ih. rem Fuß lagen Satteltaschen und Beutel, eine barbarisch aussehende Kriegsaxt war dagegengestellt, das lang gebogene Axtblatt zur Wand hin weisend, während eine Armbrust und ein lederner Bolzenköcher gegenüber lehnten.
Hastig ließ sie den Blick noch ein, mal durch den Raum huschen. Eine achtlos über einen dreibeinigen Hocker geworfene Tunika, ein zusammengeknülltes Handtuch neben der Waschschüssel und dem Wasserkrug aus poliertem Messing auf dem kleinen Tisch beim Fenster und ein benutzter Becher verrieten, dass noch jemand diesen Raum für sich beanspruchte. Wer? Durst kratzte in ihrem Hals. Ihr Blick ging zu dem Wasserkrug hin, dann, nach einem letzten Zögern, schwang sie die Beine von den Bettkissen, spürte, wie ihre nackten Zehen in einem dicken Wollteppich versanken, und hielt mit einem leisen Stöhnen inne, als ihr unvermittelt schwindlig wurde. Ihre Finger tasteten nach ihrer pochenden Stirn - und fühlten das Leinen eines Verbandes. Wenn ich mich nur daran erinnern könnte, was geschehen ist?! Aber da waren nur noch verschwommene Bildfetzen in ihrem Kopf. Gleißendes Weiß, das ihr entgegenschlug und von Dunkelheit verschlungen wurde. Hände, die sie packten und emporzerrten. Schwärze, immer wieder durchdrungen von greller Helligkeit. Durst.
Arme, die sie fest an eine Brust zogen, und das Gefühl von Geborgenheit. Dunkelheit, in der wieder Hände nach ihr griffen, sie glaubte zu schweben. Stille. Und dann dieses Zimmer.
Als das Taumeln hinter ihrer Stirn endlich nachließ, stand sie unsicher auf und tappte hinüber zum Tisch. Der Wasserkrug war leer. Enttäuscht sah sie sich um, dann wankte sie zur Tür. An der Wand musste sie stehen bleiben und sich mehrere Augenblicke lang festhalten, ehe sie es wagte, die Klinke herabzudrücken und den Raum zu verlassen. Sie trat in einen schmalen Korridor. Auch hier: grauer Stein. In Wandnischen brannten Ölschalen und verbreiteten angenehme Helligkeit, der Boden unter ihren Füßen war kalt. Noch immer ziemlich wackelig auf den Beinen bewegte sie sich an der Wand entlang zur Treppe am Ende des Flurs. Felsstufen führten nach unten, wo sie das Klappern von Geschirr hörte. Das Hämmern in ihrem Kopf war zu einem wütenden Dröhnen angeschwollen. Hilflos wandte sie sich um - die Tür zu ihrem Zimmer schien unendlich weit entfernt, der Boden schlug vor ihren Augen Wellen. Der Durst verhinderte, dass sie sich zurück ins Bett schleppte. Sie drehte sich wieder zur Treppe und tastete sich Tritt um Tritt nach unten, beide Hände Halt suchend an der Wand, ängstlich darauf bedacht, nicht zu stolpern oder zu fallen.
Als sie endlich das Ende der Stufen erreicht hatte, war ihr übel und schwindlig. Mit einem leisen Stöhnen ließ sie sich an dem Felsen entlang zu Boden rutschen und setzte sich auf den untersten Tritt. Alles um sie herum wankte. Nur einen kurzen Moment die Augen schließen! Nur, damit es aufhört! Sie zog das Hemd über die Knie bis zu den Knöcheln herunter und legte die Stirn auf die verschränkten Arme.
»Bei allen gütigen Ahnenseelen, was macht Ihr denn hier unten? Wenn Euer Gemahl Euch hier findet, wird er uns beide schelten! «
Die Worte rissen sie aus ihrer Benommenheit und ließen sie den Kopf heben. » Ich habe Durst! « Ihre Stimme war nur ein heiseres Krächzen.
»Ach, Ihr armes Ding, Ihr klingt genau wie Euer Mann, als der zum ersten Mal den Mund aufgemacht hat. - Der Heiler sagte, dass Ihr nicht vor heute Abend aufwachen würdet. Ich wollte Euch später frisches Wasser hinaufbringen. Aber jetzt kommt erst einmal mit in die Küche! Wir setzen Euch neben den warmen Herd, geben Euch einen Becher Quellwasser und dann bekommt Ihr noch einen Teller nahrhafter Brühe. Wir wollen doch, dass Ihr schnell wieder zu Kräften kommt, nicht wahr! «
Die Frau, die ihr behutsam aufhalf und sie dann durch eine Tür neben der Treppe in eine
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