Der Kuss Des Kjer
werden, die kleine Ausfallpforte zu öffnen, musste ein schwerer Schlag für ihren Stolz gewesen sein. Das Lächeln, das sich ungefragt auf seine Lippen gestohlen hatte, erlosch wieder. Das Letzte, woran er selbst sich erinnerte, war Hitze, beißendes Salz, das glatte Holz der mächtigen Tore unter der Schulter und der Kopf der Heilerin an seiner Brust. Danach kam Dunkelheit, aus der er von rasenden Schmerzen in Hand und Arm gerissen wurde. Ein Fremder hatte sich an ihm zu schaffen gemacht, und hätten Ecren und Brachan ihn nicht daran gehindert, wäre er dem Mann noch halb bewusstlos an die Kehle gefahren. Der Heiler war zu Tode erschrocken und hatte sich erst wieder an ihn herangewagt, als er sicher war, dass sein Patient gänzlich bei Sinnen war. Was dann folgte, war pure Qual, die sich wieder in Schwärze aufgelöst hatte. Als er das nächste Mal zu sich gekommen war, hatte er hier in Faderas Haus in einem Bett gelegen, die bewusstlose Heilerin neben sich. - Er sah kurz auf die junge Frau hinunter. Sie hatte die Finger in seinen Arm gekrallt und klammerte sich Halt suchend an ihn, während sie langsam die Stufen hinunterstiegen. Seine Brauen zogen sich beim Anblick ihres bleichen Gesichts zusammen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie heute noch im Bett geblieben wäre. Er schüttelte leicht den Kopf. - Um die Anwesenheit der jungen Frau bei ihnen zu erklären, hatte Brachan vorgegeben, die Heilerin wäre mit ihm verheiratet. Eine Nivard die Gemahlin eines Kjer - der Gedanke war so verrückt, dass man ihn schon wieder glauben konnte. Eigentlich hatte er bei ihr sein wollen, wenn sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte, um ihr die Situation zu erklären, in der -
zugegeben unsinnigen - Hoffnung, sie dazu überreden zu können, das Spiel mitzuspielen. Dummerweise war es anders gekommen.
Mit einem leisen Seufzer atmete Lijanas auf, als sie die Treppe endlich hinter sich hatten, und ließ vorsichtig Mordans Arm los. Der Blick, mit dem er sie bedachte, sagte sehr deutlich, dass er damit rechnete, ihre Beine würden unter ihr nachgeben. Als das nicht geschah, führte er sie zu dem Tisch, der an der Schmalseite des Raumes aufgestellt war, und schob sie auf den Platz, der dem halbrunden Kamin am nächsten war. Brachan, Ecren, Corfar und Levan, die sich erhoben hatten, als sie den Raum betreten hatte, setzten sich schweigend wieder und musterten sie aufmerksam. Es war, als würden sie auf etwas warten. Mordan ließ sich neben ihr auf der hölzernen Sitzbank nieder. Lijanas wäre so weit wie möglich von ihm weggerutscht, hätte er nicht den Arm um sie gelegt und sie an sich gezogen. Mistkerl! Gerne hätte sie ihn unter dem Tisch gekniffen, aber durch das Leder von Hose und Wams hätte er es ohnehin nicht gespürt - und wenn, hätte es ihr nur Ärger eingebracht. Im Augenblick wollte sie allerdings nur eins: von ihm in Ruhe gelassen werden. Deshalb ließ sie ihn gewähren und strafte ihn mit Nichtachtung, während sie sich im Raum umschaute.
Wie im oberen Stock war auch hier alles aus den Felsen gehauen, in Wandnischen brannten Ölschalen und in der Kaminstelle loderten wärmende Flammen in der großen, im Boden eingelassenen Kupferschale. Schräg gegenüber gingen zwei Stufen zu einer schweren Holztür hinauf, die vermutlich in den Hof führte. Lijanas blickte auf, als Fadera neben ihr erschien, ein Speisebrett beladen mit Gemüse, duftendem Braten, Tonschalen mit verschiedenen Soßen und noch warmem Brot auf den Armen, das sie mitten auf dem Tisch platzierte. Sofort lief ihr das Wasser im Mund zusammen und ihr Magen teilte ihr mit, dass ihm die zwei Schalen Brühe bei Weitem nicht gereicht hatten. Zwischen Brachan und Ecren, die ihr und Mordan gegenübersaßen, tauchte der dunkelblonde Schopf von Alejna auf. Das Mädchen stellte einen Stapel Holzteller auf den Tisch, die die Krieger mit ruhiger Selbstverständlichkeit von Hand zu Hand weiterreichten. Als Fadera dann zwei schwere Krüge brachte, trug Alejna die Holzbecher hinter ihr her und stellte sie ebenfalls auf den Tisch - wieder zwischen Brachan und Ecren. Als der dunkelhaarige Krieger ihr über den Kopf strich, hob sie kurz ihr ausdruckloses Gesicht zu ihm empor, drehte sich um und lief aus dem Raum.
Mit einem leisen Seufzen sah ihre Mutter ihr nach. Dann wünschte sie ihren Gästen einen guten Appetit, erinnerte sie daran, dass in der Küche noch mehr darauf wartete, verzehrt zu werden, und sie nur zu rufen bräuchten, und folgte dem Kind.
Einen Moment
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