Der Kuss des Lustdämons
als stünde sein alter Herr direkt vor ihm. Es herrschte Schweigen und doch wusste er, dass er nicht allein war. „Ich kann auch wieder gehen und euch mit der Scheiße allein lassen, die da unten passiert ist. Kein Problem!“ Damit wandte er sich zum Gehen.
„Warte!“ Seine Mutter trat in einem eng anliegenden Abendkleid auf ihn zu. Ihr Licht blendete ihn. Er hielt sich schützend eine Hand vors Gesicht. „Es tut mir leid. Ich hätte mir gewünscht, dass du es auf andere Art und Weise erfährst“, sagte sie beschämt.
„Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu hören, und keine Rätsel, Mutter!“ Er knirschte mit den Zähnen. Diese Leier hörte er sich jetzt seit bald fünfunddreißig Jahren an. Es war genug!
„Jade, wir sind keine Menschen. Wir sind ...“
„Schweig, Weib! Er wird es nicht verstehen.“ Richards Hand schnellte aus dem Dunkel und grub sich in Lillys Schulter. „Er kann uns nicht helfen!“
„Richard! Willst du ihn weiter belügen? Jetzt gibt es nichts mehr zu verbergen. Jetzt gibt es nur noch uns beide!“, empörte sie sich und schüttelte seine Hand ab.
Der Weißhaarige trat aus dem Dunkel. „Rede keinen Unsinn! Wir werden schnell wieder auf die Beine kommen!“
„Hast du denn etwas gespürt, als es geschehen ist? Wer auch immer dafür verantwortlich ist, er war schnell und wurde von niemandem gesehen! Wir beide haben mehr Glück als alles andere gehabt! Wer wird uns beschützen?“, kreischte sie.
„Dass ihr keine Menschen seid, ist ja wohl kaum zu übersehen! Haltet Ihr mich für total bescheuert? Was zum Teufel geht hier vor? In diesem verdammten Laden sind über fünfzig Personen gestorben! Und du tust so, als wäre das eine Lappalie, die man durch Austausch beheben kann! Ehrlich, mir platzt gleich der Kragen! Rede mit mir!“ Jade packte seinen Vater vorn am Hemd.
„Die Wahrheit ist, dass du nicht die Kraft hast, uns zu beschützen, oder hast du deinen Dämonen wieder eingefangen? Wie ich an deinem Blick erkennen kann, bist du ergebnislos zurückgekommen! Es hat also keinen Sinn, dich in unsere Geheimnisse einzuweihen, da du nicht in der Lage bist, das Ritual der Initiation zu überstehen. Egal, wie viel wir dir schon beigebracht haben, du bist und bleibst ein schwacher Mensch!“ Richard packte die Handgelenke seines Sohnes und befreite sich.
Jades Wut steigerte sich und er fühlte sich, als würden seine Knochen unter dieser Last zerbersten. Von welchem Ritual redete sein Vater?
„Ich zeige dir jetzt den Unterschied zwischen dir und mir. Denn ich bin kein Mann der großen Worte.“
Was für eine Selbsterkenntnis! Richard stellte sich vor seinen Sohn hin und erhob die Hand. Er atmete tief ein. Direkt auf seiner Handfläche verzerrte sich die Umgebung und ein leises Knistern steigerte sich zu einem gefährlichen Glimmen. Dann legte er seine andere Hand über das Knistern. Er schwang leicht von einen Fuß auf den anderen, lockerte sich und öffnete die Augen. Ein blaues Glühen war in der Iris seiner Augen zu sehen. Als er seine Hände öffnete, zuckten weiße Blitze zwischen den Handflächen. Dann atmete er erneut tief ein und drehte die Flächen nach vorne, zog sie an seinen Körper, bewegte einen Fuß vor und beugte die Knie. Als würde er einen Ball werfen, schob er seine Hände ruckartig von sich. Der Kugelblitz donnerte gegen die nächstliegende Wand und schlug ein Loch hinein, sodass das Licht vom Flur nach innen drang. Den Krach hatte man vermutlich bis auf die Straße gehört. Jade war beeindruckt. Lilly kam zu ihm hinüber, winkte ihm, dass er sich seitlich zu ihr neigte.
„Das war noch lange nicht alles. Sieh genau hin.“ Sie lächelte verschwörerisch. Richard drehte seine Handflächen erneut und bildete Krallenhände. Seine Arme zitterten und zwischen den Fingern sprangen erneut Blitze hin und her. Die eben noch durchschlagene Wand mauerte sich wieder zu, als hätte man bei einem Videorekorder auf den Rückwärtslauf gedrückt. Richard schloss die Augen und ließ die Hände seitlich herabsinken.
„Er hat die Zeit manipuliert, sie ein Stück zurückgedreht, sodass alles ungeschehen ist“, erklärte Lilly mit Stolz in der Stimme.
Als wäre es eine Selbstverständlichkeit und keine große Überraschung für ihn, entgegnete Jade: „Warum dreht er dann nicht die Zeit zurück um zu sehen, wer für das Chaos da oben verantwortlich ist?“
Lilly blickte an ihm vorbei.
„Dein Vater hat leider nicht genug Energie, um die Zeit so lange
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