Der Kuss des Werwolfs - 1
Seelenpartnerschaft?
»Ich weiß nicht, wie du hierhergekommen bist.« Rhodrys Worte zerstörten die romantische Stimmung. »Es sollte nicht sein, dass jemand durch die Zeit reist. Ich weiß keinen Weg, dich in deine Zeit zurückzubringen.«
Er schaute sie weiter unverwandt an und senkte auch nicht den Blick, als sie ihm ihre Hände entzog.
»Das soll heißen, ich bin dazu verdammt, für immer im Jahr 1818 und auf Shavick Castle zu leben?« Als sie es aussprach, kam ihr die Sache noch viel ungeheuerlicher vor.
»Irgendwann haben wir 1819«, versuchte er die Stimmung aufzulockern. Ernster fügte er hinzu: »Ich fürchte, das ist so.« Er wollte nach ihren Händen greifen, doch sie wich vor ihm zurück. »Ich weiß keinen Weg, wie ich deinen Wunsch erfüllen soll. Gleichzeitig schwöre ich dir, alles zu versuchen, damit er wahr wird. Selbst wenn das bedeutet, dass du nicht an meiner Seite bleibst.«
Nola hörte die Worte, der Sinn flog an ihr vorbei. Sie hatte nur verstanden, dass ihr Leben sich ab jetzt im Jahr 1818 abspielte. Kein London mehr, keine Einkaufsbummel mit Violet, kein Savoy, keine Familie; stattdessen war sie Herrin über ein Zimmer voller altmodischer Kleider. Wie hatte alles so schiefgehen können?
»Nola.«
»Ich will nichts mehr hören.«
Sie rannte aus dem Frühstückssalon und durch die Halle. Auf der Galerie blieb sie keuchend stehen, als hätte sie einen Marathon hinter sich gebracht.
Rhodry wollte ihr nach. In der Halle traf er jedoch auf Amelia, die sich ihm in den Weg stellte.
»Mylord«, sagte sie mit fester Stimme, »lasst sie gehen! Menschenfrauen sehen die Dinge nicht so klar wie Werwölfinnen. Sie braucht Zeit, um das alles hier zu begreifen.« Mit der Hand machte sie eine Bewegung, die Shavick Castle und alle seine Bewohner umfasste.
Der Earl blieb stehen. Amelia war auch eine Menschin, vielleicht verstand sie Nola besser als er.
Amelia sprach schnell weiter. »Wenn Ihr ihr nachlauft, macht Ihr alles nur schlimmer. Alles muss aus ihr selbst kommen.«
»Du meinst, ich soll warten?«
»Jawohl, Mylord.« Amelia knickste und eilte zu den Küchen.
Der Earl hatte nicht bemerkt, dass Nola oben auf der Galerie stehen geblieben war und heruntergeschaut hatte, aber Amelia hatte sie gesehen.
Kapitel 12
Das »Fat Cat Inn« war eine Postkutschenstation in den schottischen Lowlands an der Straße zwischen Edinburgh und Stirling. Die Herberge stammte aus dem 16. Jahrhundert und umschloss mit den Stallungen und Scheunen einen großen Hof. Normalerweise kamen zu jeder Tageszeit Postkutschen und Privatwagen an, um die Pferde zu wechseln oder sich einzuquartieren. Jetzt aber lag der Hof wie ausgestorben unter einem wolkenverhangenen Himmel, eine nicht richtig geschlossene Scheunentür klapperte im Wind, und in den Stallungen standen ein rundes Dutzend Pferde, die unruhig mit den Hufen scharrten und durch geblähte Nüstern schnaubten. Die Stallburschen hatten sich in die Geschirrkammer zurückgezogen, und wenn sie überhaupt über die seltsamen Gäste redeten, die heute angekommen waren, dann nur im Flüsterton.
Die Gäste waren zu Fuß gekommen wie Wegelagerer, aber trotzdem waren zwei von ihnen gekleidet wie ein reicher Lord und seine Lady; die Lady hatte eine Zofe bei sich und der Lord drei Diener. Der Lord hieß Maksym Derenski und war ein Graf aus Krakau. Das blonde Haar trug er der Mode der Zeit entsprechend kurz geschnitten und zu einer Sturmfrisur ä la Brutus gebürstet. Sein Hemdkragen war hoch, wie bei einem Dandy aus vornehmsten Londoner Kreisen, darüber kleidete ihn ein dunkelgrauer Anzug und eine Ton in Ton mit Blütenranken gemusterte grüne Weste vorzüglich. Er lümmelte in einem bequemen Sessel, den der Wirt aus einem Privatsalon in die Gaststube gebracht hatte, und drehte ein Weinglas in den Händen. Das Licht der Kerzen auf den Tischen spiegelte sich in der rubinroten Flüssigkeit.
Ihm gegenüber auf einem Stuhl saß ein zweiter Mann, ebenfalls in einem dunkelgrauen Anzug, aber der Hemdkragen weniger hoch und die Weste beige und ungemustert. Sein Name war Igor Igorowitsch, für die Menschen galt er als Derenskis Freund und Begleiter, in den Kreisen der Werwölfe war er als Derenskis bester Leibwächter bekannt. Vor ihm auf dem Tisch stand ein Zinnkrug Ale, aus dem er hin und wieder trank, um anschließend sein Gesicht zu einer Miene des Abscheus zu verziehen. An einem Tisch in der Ecke spielten zwei weitere Männer Karten und tranken Ale. Sie hießen Pjotr und
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