Der Kuss des Zeitreisenden (German Edition)
war so wohlerzogen und vornehm. Sie hatte geschliffene Manieren und wirkte recht unabhängig. Deshalb vergaß er bisweilen, dass sie auch die Fähigkeiten eines Straßenkindes besaß. Und dass sie seit ihrer Kindheit in der Lage war, Schlösser aufzubrechen.
Sie holte ein Vielzweckwerkzeug aus einem versteckten Fach ihres Handkommunikators. »Damit sollte es gehen.«
Sie brauchte weniger als zwanzig Sekunden, um den Alarm auszuschalten.
»Gute Arbeit.« Er griff nach der Tür.
Sie zog ihn zurück. »Nicht so schnell.«
»Warum nicht?«
»Das war einfach zu leicht. Wir reden hier über den Heiligen Gral. Wenn Trendonis so gerissen ist, wie du behauptest, wird er über Bewegungsmelder, versteckte Überwachungskameras, akustische und Infrarot-Warnsysteme und vermutlich auch Temperatursensoren verfügen. Ich wette, in der Nähe gibt es einen Transmitter, und auch den muss ich ausschalten, bevor wir hineingehen können.«
»Warte noch eine Sekunde.« Er las die Gedanken der Wächter. »Die Wächter wissen gar nichts«, berichtete er, »aber vor ein paar Monaten hat einer von ihnen einen verdächtigen Kasten auf dem Dachboden bemerkt. Als er ihn untersuchen wollte, wurde ihm befohlen, sich davon fernzuhalten, da dieser Kasten Trendonis’ Kommunikation mit seinen Raumschiffen diene.«
»Ich bin beeindruckt.« Vivianne ging auf einen Baum mit dicken Ästen zu, über die man leicht bis zum Dachgeschoss klettern konnte. »Das alles hast du in nur wenigen Sekunden erfahren?«
Jordan half ihr auf den untersten Ast. »Die Wächter machen sich Sorgen.«
»Warum?« Vivianne erkletterte den Baum.
»Trendonis hat sie in Alarmbereitschaft versetzt.«
»Das ist nicht gut.« Vivianne zog sich auf das Dach des Hauses.
Als er ebenfalls hochgeklettert war und sich neben ihr auf dem Dachboden befand, hatte sie das Schloss der Kiste bereits geknackt. Sie leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe hinein. Das Licht strahlte auf ihr Gesicht zurück. Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete mehrere Drähte. »Noch mehr schlechte Nachrichten.«
»Was ist los?«
»Wenn ich diesen Draht durchschneide, sendet er automatisch ein Alarmsignal.«
»Kein Problem. Ich kann dem Signal folgen. Wer immer es empfängt, er wird bald ein Schläfchen machen.«
Sie zögerte nicht, schnitt zwei Drähte durch und löste einen dritten. Jordan streckte seine geistigen Fühler aus, folgte dem Signal und war neugierig, wohin es ihn wohl führen würde. Trendonis bediente sich einer privaten Sicherheitsfirma. Eine bemerkenswerte Wahl. Offenbar traute er weder den örtlichen Ordnungsbehörden noch dem Militär.
Jordan schickte den Mann in den Schlaf, noch bevor er das Signal empfangen konnte, und zog seine Fühler wieder ein. »Jetzt sollten wir hineingehen. Bist du bereit?«
»Hast du dich schon um die Wachen im Innern des Hauses gekümmert?«
»Noch nicht. Ich will bis zum letzten Augenblick warten, falls Trendonis hereinkommen und nach dem Rechten sehen sollte.«
»Gute Idee.« Vivianne kletterte wieder den Baum hinunter, sprang vom letzten Ast und landete wie eine Katze, ohne dabei das geringste Geräusch zu verursachen.
Er schwang sich hinter ihr her und erwartete, im Dunkeln auf den Boden zu treffen. Doch stattdessen blitzten an vielen verschiedenen Stellen plötzlich Scheinwerfer auf und blendeten ihn.
37
Erfahrung ist das, was einen Menschen dazu bringt, statt alter Fehler neue zu machen .
Albert Einstein
Vivianne fluchte. Sie hatte das gesamte Alarmsystem ausgeschaltet, aber die Scheinwerfer vergessen. Sie waren allerdings auch kein Teil des Überwachungssystems, sondern dienten einfach nur der Bequemlichkeit. Dennoch war das Überraschungsmoment nun nicht mehr auf ihrer Seite.
Mit großer Angst im Bauch sprang sie auf eines der Fenster zu, schlug eine Glasscheibe ein, öffnete es von innen und kletterte hinein. Jordan folgte ihr.
Aus dem Innern des Hauses hörte sie, wie das Hartog Geräusche machte, die Robbengeheul ähnelten. Jordan rannte an ihr vorbei und durch einen Korridor, an dessen Wänden unzählige Fotografien hingen. Sie hastete hinter ihm her, während das Adrenalin durch ihre Adern schoss.
Hinter einer Biegung gelangten sie in ein kostbar eingerichtetes Büro mit einem riesigen Schreibtisch, polierten Stahlschränken und mehreren Bronzeskulpturen. Vivianne kam schlitternd auf dem Granitboden zum Halt und wäre beinahe gegen Jordan geprallt, der stehen geblieben war und das Ohr gegen die Tür in der
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