Der Kuss Im Kristall
vorteilhafte Partie machen und bald heiraten würde. Was immer sie bedrückte, es musste bald geklärt werden.
„Nun gut, chérie . Sie verstehen aber, dass die Karten keine endgültigen Aussagen treffen, nicht wahr? Das obliegt Ihnen. Die Karten geben nur Hinweise, n’est-ce pas ?“
„Ja. Ja, natürlich.“
Alethea mischte die Karten und wählte die Hufeisenform, die schnellste Art, die Tarotkarten zu legen.
Miss Barlow zerknautschte unruhig mit den Händen ihr Taschentuch und biss sich auf die Unterlippe. „Sagen Sie mir alles, Madame Zoe.“
„Ihre erste Karte spricht von früheren Einflüssen“, begann Alethea. Sie tippte auf die Gestalt eines Mannes mit einem Glockenhut, der verkehrt herum lag. „Sie müssen sich vor unbedachten Handlungen schützen, chérie , oder sich auf eine Katastrophe gefasst machen.“
„Ich bin niemals unüberlegt gewesen. Aber ich muss sicher sein, und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.“
„ Oui . Ich begreife, das ist der kritische Punkt“ Alethea drehte die nächste Karte herum. „Da! Der Zauberer! Sie müssen eine Entscheidung treffen! Und sie müssen einen klaren Kopf bewahren, n’est-ce pas ?“
„Klaren Kopf?“ Miss Barlow schien verwirrt.
„ Oui . Urteilen Sie auf keinen Fall vorschnell!“
„Ach, Unsinn! Ich habe keine Zeit, um über alles lange nachzugrübeln. Ich muss schnell einen Entschluss fassen!“
Ein weiterer Blick zur Uhr zeigte Alethea, dass es schon sehr spät war und sie sich nun wirklich beeilen musste. Rasch drehte sie die dritte Karte um. „Die Liebenden! Ah, das erklärt alles.“
„Die Liebenden!“, rief Miss Barlow aus und beugte sich vor. „Oh, ich hatte es gehofft. Verraten Sie mir mehr, Madame .Was hält die Zukunft für uns bereit?“
„Er – sieht gut aus. Er ist …“
„Dunkelhaarig! Oh ja! Der schönste aller Männer! Sie sind ja so klug, Madame ! Sagen Sie mir, ist es wahre Liebe?“
„Die Karten sprechen von Liebe und von einer Entscheidung, die zu treffen ist, chérie . Zwischen Körper und Geist. Das ist nicht dasselbe, oder?“
„Nein!“, stimmte Miss Barlow zu. „Mein Körper – mein Herz – rät mir etwas, und mein Geist – meine Vernunft – etwas anderes.“
Alethea drehte noch eine Karte um. Der Mond. Eine Karte, die dazu aufforderte, dem Gefühl zu folgen und nicht der Vernunft. Kein weiser Ratschlag, soweit es Miss Barlow betraf. Dennoch, es ging um ihre Zukunft. „Hören Sie auf Ihr Herz, chérie . Es sagt Ihnen, was am besten für Sie ist.“
Miss Barlow verzog das Gesicht. „Wenn ich nur sicher wäre.“
Alethea drehte die nächste Karte um und war überrascht, wie stimmig diese die anderen ergänzte. Die Botschaft war beinahe so eindeutig, dass sie versucht war, an die Tarotkarten zu glauben. Beinahe. „Dies …“ Sie deutete mit einem Finger auf die Karte, „… ist die Kutsche. Sie weist auf eine Reise hin oder auf Entfernung. Vielleicht in Bezug auf Ihre Gefühle, vielleicht in Bezug auf eine tatsächliche räumliche Veränderung oder eine Distanz, die es zu überwinden gilt.“
„Eine Reise! Oh ja, Madame ! Ich werde in der Tat eine Reise unternehmen. Das ist es, wonach ich gesucht habe. Jetzt ist mir klar, was ich zu tun habe“, beschloss Miss Barlow energisch, als Alethea sie schon durch die Tür aus dem kleinen Salon hinausschob. „Ich werde meinem Herzen gehorchen.“
5. KAPITEL
Rob stand im Ballsaal der Spencers neben dem Kamin und beobachtete, wie Miss Lovejoy mit Seymour eine Quadrille tanzte. In ihrem blassgrünen Kleid, das am Saum und am Mieder mit Rosen bestickt war, sah sie hinreißend aus. Auf dem Kopf wurde ihr Haar von grünen Bändern gehalten und fiel ihr dann in schimmernden Locken bis weit über den Nacken. Hatte sie nicht nur für ihre Schwester, sondern auch für sich selbst Bänder gekauft? Gut angelegtes Geld, wie er fand.
Noch immer war er verwirrt wegen der Heftigkeit, mit der er in der Teestube auf sie reagiert hatte. Als sie die Sahne gekostet und sich dann seufzend über die Lippen geleckt hatte, war sie einfach unwiderstehlich gewesen. Er fragte sich, wie es wohl sein mochte, wenn Alethea Lovejoy seinetwegen so seufzen würde. Es hatte ihn ein so heftiges körperliches Verlangen gepackt, dass er befürchtete, wie ein wildes Tier über sie herzufallen. Wie es schien, war er inzwischen tatsächlich aufs Äußerste angespannt.
„Lord Glenross?“
Er wandte sich um und erblickte Mrs. Forbush. Sie trug ein silbergraues Kleid mit
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