Der Kuss Im Kristall
nicht ins Gesicht sehen konnte. Noch immer begriff sie nicht, was sie dazu gebracht hatte, sich so zu benehmen. In einer Abstellkammer! Während ein Fest veranstaltet wurde! Und sie konnte nicht einmal McHugh die Schuld geben. Sie selbst hatte das Ganze begonnen. Bei dem Gedanken daran wurde sie sehr verlegen.
Sir Martin räusperte sich und nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. „Miss Lovejoy – Alethea, ich weiß, Ihnen muss klar sein, wie – äh – sehr ich Sie in den vergangenen Monaten lieb gewonnen habe. Ich …“
Sie konnte ihn nicht weitersprechen lassen. Es würde für sie beide zu schmerzlich werden. „Sir Martin, ich fürchte, Sie …“
„Eine Frage bitte“, unterbrach er sie.
Alethea nickte, aber noch immer vermochte sie nicht, von ihren gefalteten Händen aufzublicken. Eine Frage zu beantworten, schien das Mindeste zu sein, was sie tun konnte. Und eine Frage schien weniger peinlich zu sein als eine Anschuldigung.
„Es ist McHugh. Nach allem, was ich gesehen habe, hat er sich Ihre Unschuld zunutze gemacht. Wenn Ihre Ehre verteidigt werden muss …“
Das veranlasste Alethea dazu, Sir Martin direkt anzuschauen. Seine Miene wirkte hart, als fielen ihm diese Worte sehr schwer. Wollte er die Schuld an ihrem Benehmen McHugh zuschieben?
„Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich einer Frau gegen ihren Willen aufdrängte. Bitte versuchen Sie zu verstehen, dass ich sie nicht verantwortlich mache. Dennoch muss ich Sie etwas fragen, das recht delikat ist. Also hoffe ich, Sie haben Nachsicht mit mir.“
Sie nickte nur, sprechen konnte sie nicht.
„Wie weit – ich meine, er hat doch nicht …“
Aletheas Wangen glühten, und sie bemühte sich, ihren Zorn und ihre Empörung zu beherrschen. „Lord Robert McHugh hat mich in dieser Kammer keineswegs ruiniert, Sir Martin“, erklärte sie ihm wahrheitsgemäß. „Und ich höre zum ersten Mal, dass er ein Frauenverführer ist.“
„Aber Sie …“
„Ich weiß nicht, was der Grund für mein Verhalten letzte Nacht war, aber McHugh hat mich zu nichts gezwungen. Vielleicht lag es am Wein. Vielleicht an der Jahreszeit. Was immer es gewesen sein mag, ich nehme die ganze Verantwortung für mein Verhalten auf mich.“
„Zu viel Würzwein …“
„Ich hätte ihn einfach wegschicken können“, wiederholte sie.
„Dennoch.“ Er seufzte. „Einen Teil der Verantwortung nehme ich auch auf mich, denn ich habe nicht früher gesprochen. Ich dachte, es wäre noch Zeit. Ich hatte ja keine Ahnung, dass McHugh Interesse an Ihnen hat.“
Interesse hat? Himmel! Bei jeder Gelegenheit hatte McHugh sie gewarnt. Er hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass es mit ihm keine Zukunft geben würde.
„Ich bin heute gekommen in der Hoffnung, dass es noch nicht zu spät ist, um meinen Fehler zu korrigieren.“ Mühelos glitt Sir Martin von seinem Stuhl und ging vor ihr auf die Knie. Er umfasste ihre Hände und sah ihr in die Augen. Am liebsten wäre sie zurückgewichen, um die Berührung zu vermeiden.
„Je besser ich Sie kennenlernte, Miss Lovejoy, desto mehr wuchsen auch meine Bewunderung und meine Zuneigung zu Ihnen. Sie sind so sehr ein Teil meines Herzens geworden, dass ich mir ein Leben ohne Sie nicht vorstellen kann. Bitte sagen Sie, dass Sie meine Frau werden wollen.“
Alethea war sprachlos. Was immer sie von diesem Gespräch mit Sir Martin erwartet hatte – gewiss keinen Heiratsantrag. Gerade wollte sie ihn rundheraus ablehnen, doch dann meinte sie, das wäre ihm gegenüber undankbar. Er war bereit gewesen, ihr die Angelegenheit mit McHugh zu verzeihen. Er hatte ihr trotzdem einen Heiratsantrag gemacht. Er war sogar bereit dazu, ihre Ehre zu verteidigen. Er hatte von seiner Liebe und Bewunderung gesprochen – was sie begrüßt hätte – bis sie Rob McHugh begegnet war.
„Ich – ich fühle mich durch Ihren Antrag sehr geehrt, Sir Martin“, stammelte sie. „Doch ich fürchte, Sie werden mir niemals ganz vertrauen können, und das mit Recht. Wenn ich Ihren Antrag jetzt annähme, wäre ich seiner nicht wert, und ich kann nicht mit Ihnen leben und dabei Ihrer nicht würdig sein.“
„Daran habe ich gedacht, Miss Lovejoy, doch ich muss Sie unbedingt haben. Es gibt für mich keine andere Möglichkeit.“
Zeit. Sie brauchte ein wenig Zeit. Zumindest die verbliebenen sechs Tage, die ihr die Mittwochsliga versprochen hatte. Aber wie sollte es ihr gelingen, Sir Martin so lange hinzuhalten?
Noch immer hielt sie ihn für fähig, ein guter Ehemann zu
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