Der lächelnde Henker
Sie belegt den Schäfer mit ihrem Bann, so daß er zu einer Steinfigur wird. Sie soll jetzt noch in der Nähe von Shannon zu besichtigen sein. Das ist eigentlich alles.«
»Aber du hast die Figur noch nicht gesehen?« fragte Volker Jungbluth.
»Nee, bis Irland bin ich nie gekommen. Dafür war ich schon auf Mallorca.«
Alle lachten nach dieser Anwort.
Dann war Oliver Roos an der Reihe, als das Gitarrenspiel verstummte. Der junge Mann lehnte sich zurück und verschränkte seine Hände hinter dem Nacken. »Wißt ihr eigentlich, was sexy ist?«
»Also du bist es bestimmt nicht«, sagte Jürgen, während die anderen keine Antwort parat hatten.
»Okay, Freunde, dann will ich es euch sagen. Sexy, das ist elfi minus fünfi.«
Nur Volker Jungbluth lachte. Die anderen beugten sich zur Seite, verzogen die Gesichter und jaulten wie Hunde, während Oliver sich an Jürgen Fleischberger wandte und sich erkundigte, was Marlon Brando denn dazu gemeint hätte.
Jürgen wurde mit seinem Marlon-Brando-Tick immer ein wenig aufgezogen. Das ärgerte ihn, und so erwiderte er: »Marlon hätte euch schon gezeigt, wie sexy er ist.«
Ein Lachsturm der anderen schallte durch den Nebel und wurde von ihm verschluckt.
Die jungen Leute hatten kaum bemerkt, daß der Nebel inzwischen zugenommen hatte und dichter geworden war. Als hätte jemand dicke, graue Tücher aufgespannt, so lag er auf und über der kleinen Insel und begrub mit seiner Feuchtigkeit alles unter sich.
Da vor den Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Feuer loderte, merkten sie kaum etwas von der Kühle, die ihren Ring immer dichter zog, aber sie stellten doch fest, daß einer weiterhin fehlte. Wolfgang C. Bischoff sagte plötzlich: »Heinz ist noch immer verschwunden?«
»Vielleicht hat ihn ein Vampir geholt?« lachte Oliver und richtete sich wieder auf.
Er fing sich einen strafenden Blick von Anke Witte ein. »Damit treibt man keine Scherze.«
»Wieso? Gibt es denn Vampire?« Roos schaute in die Runde. »Ich sehe keine, oder habt ihr euch inzwischen zu Blutsaugern verwandelt, ohne daß ich es bemerkt habe?«
»Er bleibt tatsächlich lange weg«, stellte Volker Jungbluth fest und schaute auf seine Uhr.
»Ob wir mal nachschauen?« fragte Jürgen Fleischberger. Als Anführer der Gruppe fühlte er sich auch verantwortlich.
»Das wäre nicht schlecht«, meinte der immer ruhig und besonnen wirkende Walter Lieh.
Als er die Worte gesprochen hatte, fühlten sich alle ein wenig unbehaglich in ihrer Haut. Keinem war das Gemäuer so recht geheuer, auch wenn sie es nicht zugeben wollten. Dieses teilweise zerstörte Schloß strahlte etwas Bedrohliches aus, etwas Gefährliches, und im über die Mauern laufenden Spiel der Schatten schienen die Steine ein eigenes Leben zu führen und lebendig zu werden.
Jürgen Fleischberger stand als erster auf. Zielstrebig näherte er sich dem düsteren Eingang.
»Warte, wir gehen mit!« rief Wolfgang.
Jürgen drehte sich um. »Das ist nicht nötig. Ich will ihn nur rufen!« Er legte seine Hände als Trichter rechts und links an die Mundwinkel, bevor er den Namen seines Freundes schrie.
Auch Anke schraubte sich in die Höhe. Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, und sie hatte die Hände geballt. Um ihre Lippen zuckte es, die Augen waren ein wenig zusammengekniffen. Das Mädchen lauschte dem Klang der Stimme nach.
»Heiiinnnz…« hallte es aus dem Innern des Schlosses wider. »Komm zurück…«
Heinz Ansion kam nicht, und er antwortete auch nicht, obwohl er den Ruf gehört haben mußte.
Jürgen Fleischberger wurde ärgerlich. »Mach doch keinen Mist, Heinz. Komm endlich raus aus dem Loch.«
Ansion gab keine Antwort. Er schien überhaupt nicht da zu sein, die jungen Leute wurden still, und nur Anke Witte durchbrach mit ihren Worten die Ruhe.
»Da ist etwas passiert, fürchte ich.«
Jürgen hatte sie gehört, denn er kam zu den anderen zurück. »Mein Gott, was soll denn passiert sein?« Im Nebel wirkte seine Gestalt seltsam geisterhaft.
»Die Frau!« flüsterte Anke. »Ich habe doch die Frau mit den Schlangen gesehen.«
Jetzt lachte niemand mehr. Es war schon seltsam, daß sich Heinz nicht meldete. Und als einen Spaß sah dies ebenfalls keiner mehr an.
»Vielleicht ist er gestürzt«, vermutete Wolfgang C. Bischoff. »Wir sollten nachschauen.« Er wandte sich an die anderen. »Was meint ihr denn dazu?«
Nach einer Weile gab Oliver Roos die Antwort. »Wird wohl das beste sein, wenn wir es gemeinsam machen.«
»Und du, Anke?«
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