Der lächelnde Henker
Eingänge. Sie kamen ihm vor wie das weitverzweigte Tunnelsvstem eines Labyrinths, dessen Gänge ausgerechnet dort zusammenliefen, wo sich Heinz Ansion befand.
Komisch wurde ihm schon, als er in die Schächte hineinleuchtete. Trotz allem interessierte ihn, wohin sie führten. Vielleicht zu irgendwelchen Kellern oder Verliesen, denn er glaubte zu sehen, daß der Boden hinter den Öffnungen leicht abschüssig war.
Heinz ging ein wenig näher heran. Jetzt hätte er gern eine Halogenleuchte gehabt, um die nähere Umgebung richtig ausleuchten zu können. Leider mußte er darauf verzichten.
Als es vor ihm raschelte, erschrak er selbst. Dabei war er nur mit der Fußspitze in einen Blatthaufen getreten. Seine Reaktion bewies ihm allerdings, wie nervös er war.
In einen der Gänge hineinzugehen, traute er sich nicht. Da wollte er doch lieber die anderen holen. Heinz grinste erfreut, als er daran dachte. Die Idee war nicht schlecht. Er konnte den Freunden Bescheid sagen, dann würde es schon ein tolles Abenteuer geben, wenn sie das Schloß durchforsteten.
Er drehte sich wieder. Auch der Lampenstrahl wanderte mit und erreichte den Punkt, wo die nach oben führende Treppe begann. Sie war natürlich auch interessant. Hatte Anke nicht dort diese Frau getroffen?
Heinz ging hin. Die Treppe führte in einen kleinen Turm oder Söller. Als er seinen Kopf schräg legte und die Stufen hinaufschaute, da merkte er den kühlen Windzug, der über seine Gesichtshaut strich. Demnach mußte sich am Ende der Treppe noch eine Öffnung befinden. Wahrscheinlich ein Fenster. Heinz Ansion setzte den rechten Fuß vor. Die alten Stufen war ausgetreten. Sie besaßen in der Mitte regelrechte kleine Wannen, in die er seinen Fuß setzte.
Drei, vier Stufen ließ er hinter sich.
Dann wurde es eng. Die Kurve begann.
Zuerst schickte Heinz den Strahl seiner Lampe auf die Reise. Danach kam er selbst.
Einen Herzschlag später vereiste er vor Schreck.
Vor ihm lauerte eine grauenhafte Gestalt.
Der Henker!
***
In den folgenden Augenblicken konnte Heinz Ansion seine Überraschung und sein Entsetzen nicht überwinden. Er war einfach unfähig, sich zu rühren. Wie festgewachsen stand er auf der Stufe und starrte auf die ganz in Schwarz gekleidete Gestalt mit der ebenfalls schwarzen Kapuze, die nur zwei Schlitze für die erbarmungslosen Augen freiließ, mit denen der Unheimliche den jungen Mann fixierte. Er hatte die Lampe zufällig so gehalten, daß ihr Lichtkegel die Kapuze in der unteren Hälfte traf und dort einen hellen Kreis malte. Das Licht traf allerdings nicht nur die Kapuze, sondern auch einen Gegenstand, den der schwarze Henker in der Hand seines angewinkelten Arms trug. Es war das Beil!
Die blanke Klinge reflektierte das Licht, sie blendete Heinz sogar für einen Moment, er schloß die Augen, riß sie wieder auf, und als er auf das Beil schauen wollte, da war es verschwunden.
Der Henker hatte die Hand erhoben. Jetzt schwebte sie über dem Kopf und mit ihr auch das Beil.
Gleichzeitig vernahm Heinz das hohe, hechelnde Geräusch, das ihn an ein Kichern erinnerte.
Der lächelnde Henker!
Jetzt war er da, und er schlug zu.
Gewaltig sauste das Beil nach unten. Sein Schatten malte sich an der rauhen Wand übergroß ab, so daß Heinz Ansion sehen konnte, was ihm bevorstand.
Nur für einen winzigen Augenblick befand sich das Beil in Bewegung. Dann traf es sein Ziel.
Heinz Ansion starb, und er wußte nicht, warum. Er hörte den Aufprall nicht mehr, er war sofort tot, und sein Torso kippte, wie auch der Kopf, die Stufen der Treppe hinab.
Oben aber stand der Henker.
Die blutverschmierte Axt hielt er umklammert, und unter seiner Kapuze war wieder das widerliche schrille Kichern zu hören. Er hatte sein erstes Opfer!
***
Walter Lieh spielte auf seiner Gitarre. Die Finger glitten über die Saiten und entlockten ihr schwermütige, manchmal bedrückend klingende Klänge.
»Was ist das für ein Lied?« fragte Volker Jungbluth.
Walter hob den Kopf, ohne sein Spiel zu unterbrechen. »Es ist ein altes irisches Volkslied«, erklärte er.
»Kennst du auch den Text?« wollte Wolfgang C. Bischoff wissen.
»Nein, nur teilweise.«
»Erzähle doch mal«, forderte Anke den Jungen auf.
Walter schob wieder seine Brille zurecht. »Ist eigentlich nichts Besonderes. Die Geschichte eines Mädchens, das unsterblich in einen Schäfer verliebt ist.«
»Kriegen sich die beiden denn?« wollte Anke wissen.
»Leider nein, denn die Mutter des Mädchens ist eine Hexe.
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