Der Lächler
Frage nicht verkneifen. »Du trinkst keinen Wodka mehr?«
»Nur noch selten, man paßt sich an.« Talin hob das Glas und schlürfte es zur Hälfte leer. Dann stellte er mit einem heftigen Ruck das Glas neben das schwarze Telefon, legte die Unterarme auf den Schreibtisch und starrte Wladimir für einen Moment an, als suchte er nach irgendwelchen Flecken in seinem Gesicht. Die erste Frage schoß er förmlich ab. »Kannst du dich an Onopko, den Lächler, erinnern?«
»Nein!«
»Nicht so schnell.«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Er stammt noch aus damaliger Zeit.«
»Die ist vorbei.«
»Für dich schon, für mich auch, aber für andere nicht«, konterte Talin.
»Also für Onopko.«
»Richtig.« Talin grinste fett. »Der Name ist dir glatt über die Lippen gekommen, du scheinst ihn doch zu kennen.«
»Ich habe von ihn mal gehört«, gab Wladimir widerwillig zu.
»Sehr gut, sehr gut«, lobte Talin. »Da kommen wir uns schon ein ganzes Stück näher.«
»Vorausgesetzt, ich spiele mit.«
Talin zeigte einen beinahe mitleidigen Gesichtsausdruck. »Das wirst du wohl oder übel tun müssen, denn Onopko gibt es noch immer. Und nicht nur das, er hat es geschafft, auszubrechen. Er ist verschwunden, und er wird unterwegs sein, um sich zu rächen.«
Eine Pause entstand, in der Golenkow nachdenken konnte. »Na und«, sagte er schließlich. »Was habe ich damit zu tun? An mir wird er sich nicht rächen wollen.«
»Kann – muß aber nicht sein.«
»War das alles?«
»Nein«, erwiderte Talin erstaunt und leerte sein Glas. »Auf keinen Fall, ich fange erst an.«
»Womit?«
»Onopko, der Lächler.«
»Ist er so interessant?«
»Aber sicher. Weißt du überhaupt, wer er genau war?«
»Nein, aber du wirst es mir sicherlich erzählen.«
»Gern.« Talin grinste wieder zum verkehrten Zeitpunkt. »Onopko war, so ungewöhnlich es sich anhört, ein Prototyp. Er war die erste dämonische, menschlich aussehende Killermaschine des KGB. Und er hat nichts, aber auch gar nichts in der Zwischenzeit verlernt…«
***
Der Lächler hatte Moskau erreicht!
Es war alles glatt gegangen. Er hatte auf seiner Fahrt ans Ziel nicht einmal einen Toten hinterlassen, aber in dieser Stadt würde sich das ändern.
Die ersten Stunden hatte er in einem Park verbracht, im Schutz eines Denkmals, und man hatte ihn auch dort in Ruhe gelassen. Erst bei Anbruch der Dunkelheit wagte er sich aus seinem Versteck hervor. Er hatte dann zwei Touristen beraubt und sich mit etwas Bargeld eingedeckt. Die beiden Franzosen hatten ihm die Scheine schon in die Hände gedrückt und waren dann vor ihm geflohen.
Onopko hatte hinter ihnen hergegrinst. Er war in ein Kaufhaus gegangen und hatte sich neue Kleidung gekauft. Eine dunkle Cordhose, ein helleres Hemd, einen dicken Pullover und einen Mantel, der bei diesem Wetter wichtig war.
So ausgerüstet war er gegangen, hatte in einem amerikanischen Schnellrestaurant gegessen und getrunken, um sich dann an seine eigentliche Aufgabe zu machen.
Die Namen auf der Todesliste hatte er im Kopf. Es waren nicht einmal ein Dutzend, aber sie alle konnten als handverlesen bezeichnet werden.
Namen, die in der damaligen UdSSR Gewicht gehabt hatten. Männer, auf die sich das System hatte stützen können, in wissenschaftlicher und auch in politischer Hinsicht. Nach der Auflösung des Riesenreiches war einiges anders geworden. Da hatten sich eben gewisse Leute neue Kanäle gegraben, in die sie eintauchen konnten, und alte Beziehungen hatte es auch zu den Zeiten des Kommunismus in Richtung Westen gegeben.
Dorthin hatten sich einige der Experten abgesetzt. Nach England, auch in die Staaten, das wußte Onopko, denn der Kontakt war nie richtig erloschen. Auch im Knast war er über sie informiert gewesen, er hatte ihre Fluchten auf einer bestimmten Ebene verfolgen können und wußte auch, daß er einen seiner Feinde in Moskau fand.
Der hielt sich nicht einmal versteckt, sondern mischte wieder mit in irgendwelchen schmutzigen Geschäften.
Er gehörte zu den Schiebern, die mit Baugrundstücken spekulierten, und man sagte ihm auch gute Kontakte zur Moskauer Unterwelt nach.
Er hatte sich ein neues Imperium aufgebaut, er würde auch beschützt werden, doch darüber machte sich der Lächler keine Gedanken. Er war ein Mensch, der direkt auf sein Ziel zuging und dabei vor allen Dingen das Naheliegende nicht aus den Augen ließ.
Es hieß Talin!
Kurz vor Ladenschluß begab sich Onopko in ein Geschäft, schlenderte zuerst ziellos durch eine
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