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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra von Grote
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doch nicht aus Angst und Verzweiflung. Mit seinem Plan, das eigene Erleben in der Bank literarisch zu verarbeiten, hatte er für sich einen Rettungsanker gefunden. An den würde er sich klammern, egal, was noch geschah.
    Mit der Pistole in der Hand stand der Geiselnehmer inzwischen wieder an einem der Fenster und spähte vorsichtig durch die Seitenjalousie nach draußen. Anscheinend war er zufrieden mit dem, was er sah, denn er nickte heftig und grinste. Er ging rasch in die Mitte des Raumes, zog das Handy der dunkelhaarigen Frau aus der Hosentasche und drückte eine Kurzwahltaste. Rief er diesen Commissaire LaBréa an? Hatte die Polizei tatsächlich den Wagen, den der Maskierte angefordert hatte, bereitgestellt? Laut und deutlich war seine Stimme zu hören.
    »LaBréa? Ich komme jetzt raus. Aber ich warne euch: Wenn ich irgendeinen Bullen oder Scharfschützen sehe, passiert was. Und wenn ich sehe, dass ich verfolgt werde, fließt Blut!« Er drückte das Gespräch weg und ließ das Handy auf den Boden fallen. Mit seinen schweren Doc-Martens-Stiefeln trat er einige Male darauf, bis es vollkommen zerstört war.
    Atemlos hatte Christian dem Gespräch gelauscht. Es wurde also ernst, der Maskierte wollte die Bank mit einer Geisel verlassen. Wer würde es sein? In seinem neuen Roman wäre es Joséphine …
    Der Geiselnehmer ging zum Kassenbereich und bückte sich, als suchte er etwas. Kurz darauf steckte er etwas in die Hosentasche. Die Patronenhülsen aus seiner Waffe, vermutete Christian. Er war nicht so dumm, sie als Beweisstücke am Tatort zurückzulassen.
    Nach wenigen Schritten stand der Maskierte kurz darauf bei der dunkelhaarigen Frau. Diese blickte ihn nicht an. Sie lag auf der Seite, so dass Christian ihr Gesicht sehen konnte. Es war schmerzverzerrt, die Lippen schienen geschwollen, die Haare wirr. Sie röchelte leise.
    Unsanft stieß der Geiselnehmer mit der Fußspitze gegen ihren Oberschenkel.
    »Kannst du Auto fahren?«, fragte er barsch. Es erfolgte keine Reaktion. »He, du Schlampe, ich hab dich was gefragt! Hast du den Führerschein?« Ein erneuter Tritt gegen ihren Oberschenkel, diesmal etwas heftiger. Die Frau stöhnte auf. Dann sah Christian, wie sie ganz leicht nickte. Der Maskierte bemerkte es offenbar auch. Die Pistole weiterhin in der Hand, drehte er die Frau unsanft auf den Bauch. Dann griff er ihr unter die Achseln und zog sie hoch. Sie konnte nicht stehen, die Beine sackten ihr weg.
    »Stell dich nicht so an!«, sagte der Mann ungehalten. Er ließ sie auf den Boden zurückgleiten. Aus einer Seitentasche seiner Cargohose holte er ein Messer, ließ es aufschnappen und schnitt der Frau die Plastikfesseln durch. Ihre Arme rutschten willenlos zur Seite. Nachdem er das Messer rasch wieder eingesteckt hatte, riss er sie erneut nach oben. Sie wirkte benommen. Er schob sie durch den Raum auf einen der Stühle an den Kundentischen.
    »Du kannst dich zwei Minuten hinsetzen. Sieh zu, dass du dich in dieser Zeit auf die Reihe bringst! Und dann gehen wir beide raus. Ich kann dir nur raten, keinen Blödsinn zu machen, sonst …« Er schwenkte seine Pistole hin und her.
    Die Frau antwortete nicht, und Christian Chatel konnte nicht erkennen, ob sie vielleicht, genau wie zuvor, kurz genickt hatte.
    Der Wagen stand mit der Beifahrerseite dicht an der Eingangstür der Bank, wie es der Geiselnehmer gefordert hatte. Es handelte sich um einen grünen viertürigen Renault Grand Modus, dessen Motor eingeschaltet war. Im Innenraum gab es viel Platz, und die Sicht von allen Seiten war sehr gut, vor allem auch von außen ins Wageninnere. Unter dem enormen Zeitdruck hatten die Techniker fieberhaft überlegt, wo sie ein verstecktes GPS anbringen konnten, und hatten eine Lösung gefunden. Ein entsprechend kleines Gerät mit Batteriebetrieb wurde im Erste-Hilfe-Kasten des Fahrzeuges platziert. Das Gerät wurde in eine dünne Schicht aus sterilen Brandbinden gewickelt, in eine Cellophanhülle geschweißt und wie originalverpackt in den Kasten gelegt, der im Kofferraum verstaut wurde. Der Akku des GPS war voll aufgeladen und hatte eine Betriebsdauer von mehr als zweiundsiebzig Stunden.
    Der Regen, der stärker geworden war, prasselte auf das Dach des Fluchtwagens. Aus dem Auspuff entwich eine dünne, weiße Abgasfahne. Das gesamte Polizeiaufgebot auf der Straße hatte sich zurückgezogen. Nur auf dem Flachdach des an die Bank angrenzenden Gebäudes lagen vier Scharfschützen in Lauerstellung. Zwei künstliche Kaminschlote mit

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