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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Norden kamen, umso ruppiger wurde das Wetter. Sie suchten vor Regen und Kälte Zuflucht in einem verlassenen Blockhaus. Andreas Schicks, Gustav Bandilla und der Junge bekamen einen fürchterlichen Durchfall mit Schüttelfrösten und Fieber. An eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Jeremy ritt auf dem besten Pferd, das sie besaßen, los und wollte Hilfe holen. Nach zwei Tagen kam er, vor Erschöpfung ganz grau im Gesicht, mit einem Mann zurück, der sich Doc nannte. Der schaute sich die Kranken an und sagte: »Möglicherweise ist es die Ruhr. Aber wer weiß das schon genau?«
    Er packte seine Tasche aus und zog ein schwarzes Pulver hervor. Das sah wie zerstoßene Holzkohle aus und der Junge behauptete später, es habe wie Holzkohle zwischen den Zähnen geknirscht und auch wie Holzkohle geschmeckt.
    Der Arzt wies Jeremy an jedem Kranken täglich vier Teelöffel von dem Pulver zu geben und dazu drei Liter Wasser. »Aber koche das Wasser gut ab, Nigger, klar?«
    Zu dem alten Mann sagte er: »Wenn das nicht binnen drei Tagen hilft, dann ist es die Ruhr. Dann gnade Ihnen Gott.«
    »Wir wollen so schnell wie möglich weiter«, sagte der alte Mann. »Was meinen Sie, wann wird das gehen?«
    »Bei diesem Wetter kommen Sie doch nicht vorwärts«, antwortete Doc. »Regen, Schnee, Hochwasser. Drüben hinter Haleyville soll der Fluss eine Eisenbahnbrücke weggerissen haben. Jedenfalls gibt es seit gestern keine Verbindung mehr zwischen Memphis und Chattanooga. Warten Sie ruhiges Wetter ab. Wenn es nicht die Ruhr ist, dann werden die Männer in ein paar Tagen wieder munter sein.«
    An diesem Abend stritten Lenski und Warich mit dem alten Mann und behaupteten, er habe sie aus Liebenberg weggelockt und fast alle Strapazen seien für die Katz gewesen. Jetzt sehe es so aus, als müssten sie hier, weit weg von ihren Familien, ins Gras beißen. Der alte Mann schwieg dazu.
    »Denkt ihr noch daran«, erinnerte Döblin sie, »dass ihr selbst es wart, die unbedingt über den großen Teich wollten?« Die beiden starrten wütend vor sich hin, fluchten und drehten sich auf die Seite, um im Schlaf ihr Elend zu vergessen.
    Am nächsten Morgen waren die Kranken fieberfrei. Das Wetter besserte sich. Drei Tage später spannte Jeremy die Tiere wieder vor die Wagen. Es ging weiter.
    In Haleyville kehrten sie in einer Kneipe ein. Sie fragten nach einer anständigen Arbeit für anständige Zimmerleute aus Deutschland. Die Männer, die an den Tischen saßen, waren Einwanderer aus Frankreich. Sie blickten die Deutschen feindselig an. »Haut ab«, sagte einer. »Hier treibt sich fremdes Pack genug herum. Stiehlt uns die Arbeit. Zieht weiter, wenn ihr keinen Ärger wollt.«
    Der alte Mann wollte keinen Ärger. Auch hatte er nicht die Absicht, den deutsch-französischen Krieg in Alabama weiterzuführen. Aber der Ärger kam noch am selben Tag, obwohl sie Haleyville hinter sich ließen.
    Es war nicht nur, wie Doc gesagt hatte, die Eisenbahnbrücke eingestürzt, sondern jeder Übergang über den Fluss war unmöglich. Dabei war die Schlucht, die das Wasser in den Berg gefressen hatte, keine 20 Meter tief und höchstens 25 Meter trennten die beiden Steilufer voneinander. Aber zwischen diesen Ufern tobte ein wild gewordenes Gewässer, schmutzig gelb, eine reißende Strömung, aufsprühende Gischt, immer wieder mitschießende Baumstämme, die gelegentlich gegen die Felsen geschmettert wurden, splitterten und die die Gewalt des Wassers dann weiterriss. Die Brücke war nicht gänzlich zerstört. An jedem Ufer stand noch ein etwa sieben Meter langes Brückenteil. Das Mittelstück, dem der Fluss die Stützpfeiler weggerissen hatte, war mitsamt den Gleisen in die Tiefe gestürzt und weggeschwemmt worden. Vom Ufer drüben ragte über den Brückenstumpf hinaus ein einziger Balken wie ein Rammbock weit über das Wasser. Am diesseitigen Ufer stand eine Lokomotive unter Dampf. Sie hatte drei Personenwagen und zwei Güterwaggons hergeschleppt. Die Zimmerleute hatten Eisenbahnen noch nie aus der Nähe gesehen. Sie gingen dicht an die verhalten zischende Lokomotive heran und bestaunten sie. Der alte Mann schritt auf eine Gruppe städtisch gekleideter Herren zu, die vor der Brücke standen und nicht darauf achteten, dass ihre feinen Schuhe tief in den aufgeweichten Boden einsanken. Sie redeten sehr laut mitei­nander. Was den alten Mann anlockte, das waren die fachmännischen Ausdrücke von Streben und Stützen, die sie im Munde führten.
    »Was heißt hier, das geht nicht?«,

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