Der Lange Weg Des Lukas B.
als Sprosse ein.
»Gut«, sagte der alte Mann. »Hoffentlich schaffen es Georgia und Jeremy, nach drüben zu kommen. Nur von einer Seite ist die Brücke nicht wieder fertig zu kriegen.«
»Die schaffen es bestimmt«, sagte der Junge.
»Vielleicht können wir versuchen die Leiter mit einem Anker hinüberzuwerfen. Sie hakt sich dann fest und einer kann hinüberklettern«, schlug Grumbach vor.
»Würdest du klettern?«, fragte der alte Mann spöttisch.
Dem Jungen waren am ersten Tag die Knie noch weich gewesen, wenn er über die Schwellen lief oder im Strebwerk herumkletterte und in das tosende Wasser hinunterblickte. Am zweiten Tag fühlte er sich schon viel sicherer. Er hatte die Krankheit schnell überwunden. Das war bei Andreas Schicks anders. Der musste immer wieder Ruhepausen einlegen und bereits nach kurzer Arbeit stand ihm der Schweiß kalt auf der Stirn.
»Wenn ich nur einen Schritt auf die Brücke gehe, wird es mir schwindelig und ganz schwarz vor den Augen«, klagte er.
»Alles Gewohnheit«, sagte Grumbach ein wenig großspurig. Aber dann wurde er doch kleinlaut, als er drüben auf der anderen Seite einen Mann über den Brückenrest gehen sah. Mit ruhigem Schritt gelangte er bis an das ausgerissene Geleise, machte aber dort nicht halt, sondern balancierte sicher und ohne zu zögern über den frei schwebenden Balken, als ob er sich auf festem Boden befände. Das Holz bog sich leicht nach unten und wippte ein wenig.
Den Männern stockte der Atem.
»Ein Indianer«, sagte der Junge. Der Mann hatte das Balkenende erreicht, hob grüßend den Arm und drehte die geöffnete Hand den Zimmerleuten zu. Er trug eine blaue Hose und ein Wildlederhemd. Sein dichtes, schwarzes Haar war halblang geschnitten und wurde von einem bunt gestickten Stirnband zusammengehalten. Sein Gesichtsausdruck war völlig ruhig, fast gleichgültig. An seinem Gürtel hatte er ein Lederlasso befestigt.
»Los, wirf ihm ein Seil zu«, sagte Lenski zu Grumbach. »Vielleicht schafft der uns die Verbindung nach drüben.«
»Ja, versuch’s«, stimmte der alte Mann eifrig zu. »Wer weiß, ob Jeremy und Georgia überhaupt über den Fluss kommen.«
Grumbach hatte ein Seil in großen Schlingen aufgerollt, band ein Ende an der letzten Schwelle fest, schwang es ein paar Mal hin und her und schleuderte es auf den Indianer zu. Aber das Seil verfehlte die Richtung um fast zwei Meter. Der Indianer rührte keine Hand. Grumbach versuchte es ein zweites Mal, aber diesmal schoss das Seilende weit an der anderen Seite vorbei.
»Alles Übung«, hänselte der Junge ihn.
»Ist gar nicht so leicht«, schimpfte Grumbach. »Ich fange schon an zu schwitzen.«
Der Indianer griff nach seinem Lasso, deutete auf Grumbach, der das Seil über seinem linken Arm erneut zusammenlegte, machte eine kurze, schwungvolle Bewegung über dem Kopf, das Lasso surrte durch die Luft und die Schlinge sank genau über Grumbachs Arm. Der zuckte zusammen, ging in die Hocke und musste sich an der Schwelle festhalten.
»Binde ihm das Seil an sein Lasso«, sagte Lenski. Genau das schien der Indianer erwartet zu haben. Er zog das Seilende zu sich herüber, drehte sich geschickt und lief mit dem Seil über den Balken zurück. Drüben band er es dann an einer Schwelle fest. »Momento!«, schrie Lenski. »Wart mal!«
Er schleppte mit dem Jungen die Seilbrücke herbei, band sie an das Hanfseil und gab dem Indianer ein Zeichen. Der war auf dem sicheren Teil der Brücke stehen geblieben, zog vorsichtig die schwere Strickleiter hinüber und verknotete sie geschickt mit dem Seil an dem Brückenteil. Der alte Mann wies die Männer an die Seilbrücke straff zu ziehen. Sie verankerten das Ende am diesseitigen Teil der Brücke.
»Jetzt noch ein Halteseil darüber spannen, dann können wir uns auf die andere Seite wagen«, sagte der alte Mann.
Aber darauf schien der Indianer nicht warten zu wollen. Er überschritt, vorsichtig und die Arme ausbreitend, die Schlucht auf dem schwankenden Steg und schien weniger Angst vor einem Absturz zu haben als die Männer, die ihm gespannt zuschauten.
»Bravo«, rief der Junge, als der Indianer den Fuß auf die erste Schwelle setzte. »Sie könnten bei uns im Zirkus auftreten.«
Der Indianer sagte nur: »Tabak? Whisky?«
Der alte Mann lief zu dem Wagen und holte für den Indianer ein halbes Pfund Virginia-Tabak aus der Kiste.
»Mein Name ist ›Heißer Wind, der aus dem Süden weht‹«, sagte der Indianer.
»Ich bin der Zimmermeister Friedrich Bienmann«,
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