Der Lange Weg Des Lukas B.
ausgezeichnet und zurechtschneiden lassen. Für das Schlagen der Widerlager in den felsigen Steilwänden, in denen die stärksten Stützbalken ruhen sollten, setzte er eine 10-Dollar-Prämie aus. Es meldeten sich mehr Chinesen, als er für diese Arbeit gebrauchen konnte. Doch trotz des unermüdlichen Fleißes der Arbeiter dauerte diese Arbeit länger als eine Woche. Denn der Stein war hart und der alte Mann bestand darauf, dass die Lager tief in den Felsen hineingetrieben wurden.
Das Schmiedefeuer brannte von morgens bis abends. Breite Anker wurden aus dem glühenden Eisen geschmiedet. Auch lange Eisennägel verlangte der alte Mann. Als einer der Iren ihn fragte, wie viele er denn benötige, da antwortete der alte Mann: »Genau 474 Stück.« Die Schmiede lachten und dachten, der alte Mann sei ein Witzbold. Aber der hatte keine Zeit für Scherze und die Zahl der bestellten Nägel stimmte genau.
Jeden Tag fuhr von Chattanooga her ein Zug und brachte Mr. Coles feine Herren. Die liefen auf der Baustelle herum und standen überall im Weg.
Nach zehn Tagen kam Mr. Cole. Er sah sich alles ganz genau an. Dann ging er in den Bürowagen und wollte den alten Mann sprechen. Aber der Wagen war leer und, was Mr. Cole noch mehr verwunderte, er war auch offensichtlich noch gar nicht benützt worden. Mr. Cole fragte den chinesischen Dolmetscher, wo er den alten Mann finden könne.
»Er ist an der Brücke oder auf dem Schnürboden oder auf einem Pferdewagen. Ich weiß nicht, wo er steckt. Er ist überall zugleich.«
Mr. Cole ging auf die Brücke, spähte durch die Konstruktion und sah, wie Lenski und der alte Mann in einen Balken des noch stehenden Teils eine Auflage sägten. Lenski machte den alten Mann auf Mr. Cole aufmerksam. Da kletterte er hinauf. Seine weißen Haare flatterten im Wind. Schwarze Bartstoppeln wucherten. Zum Rasieren war keine Zeit geblieben.
»Tag, Mr. Cole«, begrüßte er kurz den Gast und zog ihn vom Ufer weg auf den Bauplatz zu, wo der Lärm des Wassers nicht zu hören war. Doch die Axthiebe und das Kreischen der Sägen waren auch nicht viel leiser.
»Was gibt es, Mr. Cole?«
»Wollte mich überzeugen, ob die Arbeit vorangeht.«
»Haben Sie sich überzeugt?«
»Ja. Sie tun alles, was man in dieser Lage tun kann.«
»So ist es, Mr. Cole.«
»Wird Ihre Konstruktion die schweren Eisenbahnen tragen?«
»Ja.«
»Wie sind Sie mit den Chinesen zufrieden?«
»Gut. Sind sehr fleißige Menschen.«
»Und die Iren?«
»Saufen zu viel, aber sind tüchtige Schmiede.«
»Werden Sie es in drei Wochen schaffen?«
»Das kommt darauf an. Aber einen Gefallen könnten Sie mir tun, Mr. Cole.«
»Jeden Gefallen, der vernünftig ist«, versprach Mr. Cole.
»Sagen Sie Ihren neunmalschlauen Herren aus Chattanooga, sie sollen uns nicht durch tausend Fragen von der Arbeit abhalten.«
»Gilt das auch für mich?«
»Ja, Mr. Cole.«
Cole lachte und sagte: »Also dann, Mr. Bienmann. Das klingt nicht unvernünftig. Sie werden in den nächsten Tagen Ihre Ruhe haben.«
Der Junge hatte die ganzen Tage oben auf dem Bock an der Säge gestanden. Döblin sägte nicht weit neben ihm und Grumbach hatte seinen Bock ein wenig weiter weg aufgeschlagen. Chinesen, die von der Zimmerei wenig Ahnung hatten, sich aber geschickt anstellten, zogen die Sägeblätter unter den Böcken herunter. Früh beim ersten Licht ging es los. Die Pausen zum Frühstück, zur Mittagszeit und zum Abendessen dauerten je eine halbe Stunde. Dann schlug der alte Mann mit einem Eisenbolzen gegen ein Schienenstück, das an einem Ast aufgehängt war. Der Anfang nach den Pausen war am schlimmsten. Den Jungen schmerzte der Rücken, er spürte jeden einzelnen Knochen im Schultergürtel, die Arme kamen ihm geschwollen vor, die Handflächen brannten. Vierzehn Stunden am Tag nichts anderes als das Emporreißen der Säge, das machte die Arbeit zur Qual. Es half ihm wenig, dass er aus der Zeichnung lesen konnte, an welchem Balken des Stützgerüstes er jeweils sägte. Die Chinesen wussten nicht einmal das. Sie verrichteten stumpf die Arbeit, die ihnen angewiesen wurde. Es gab keinen Grund zur Klage über sie. Nie war ihnen etwas zu viel, nie sah der Junge sie untätig herumstehen. Nur der Dolmetscher tat nichts. Er saß faul in der Mittagssonne oder spazierte umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Als der alte Mann ihn einmal anrief und ihn aufforderte an einem Balkenende anzupacken, da stieß er lediglich einen Pfiff aus. Sogleich sprangen zwei andere
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