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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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antwortete der alte Mann. Der Indianer nickte. Grumbach versuchte ihm durch Zeichen klarzumachen, dass er noch ein Seil hinübertragen und an dem Geländer der Brücke festbinden sollte. Er fasste sich an die Stirn und wackelte mit dem Kopf, wohl um auszudrücken, dass er schwindelig werde, wenn er ohne Halteseil über die Brücke gehe.
    Der Indianer lachte über Grumbachs Vorstellung und fragte: »Du bist nicht schwindelfrei? Komm, gib mir das Seil. Ich knote es drüben fest.«
    Grumbach brachte vor Verblüffung über die fehlerfreie Sprache des Indianers kein Wort heraus.
    »Bist du stumm?«, fragte der Indianer ernsthaft.
    »Nein, nein«, antwortete Grumbach und schleppte das Seil heran. Das hatte der Indianer bald straff gespannt. Döblin ging als Erster auf die andere Seite, vorsichtig und gebückt, hangelte er sich an dem Seil entlang über den Steg, der unter seinen Bewegungen beträchtlich schwankte. Auch Lenski und Grumbach stiegen hinüber. Der Indianer hob die Hand und rief: »Danke für den Tabak.« Dann verschwand er im dichten Unterholz.
    Die Männer hatten bereits die Seilbrücke durch weitere Haltetaue festgezurrt, das andere Ufer untersucht und den Teil der Brücke vermessen, da kamen Georgia und Jeremy drüben an. Sie staunten nicht schlecht, als sie sahen, dass die Arbeit schon getan war. Luke berichtete ihnen, wie sie es geschafft hatten.
    »Es gibt einen Indianerstamm«, sagte Jeremy, »der kennt keinerlei Schwindelgefühl. Ich habe gehört, dass sie diese Indianer holen, wenn sie in den großen Städten ein hohes Bauwerk errichten wollen und Gerüstbauer brauchen.«
    Der alte Mann rechnete und zeichnete bis spät in die Nacht. Jeremy erzählte dem Jungen den ganzen Abend von Indianern. »Drüben im Westen sagen sie, toter Indianer, guter Indianer«, sagte er.
    »Die Indianer sollen sehr grausam mit den Siedlern umgehen«, erwiderte der Junge.
    »Darüber habe ich manche Geschichte gehört«, gab Jeremy zu.
    »Aber was bleibt ihnen anderes übrig? Die Weißen schließen Verträge, weisen den Indianern Land zu und halten sich an nichts. Sie treiben die Stämme von Land zu Land. Weg aus dem Süden nach Arkansas. Weg aus Arkansas nach Oklahoma. Schließlich jagen sie sie in die Wüste oder in das kahle Gebirge im Westen. Wie lange werden sie noch bleiben dürfen? Wovon sollen sie leben? Jetzt ist es Mode bei den weißen Jägern, Büffel abzuknallen. Sie sind nach dem Krieg ganz verrückt geworden. Schießen aus Vergnügen. Haben sie hundert oder mehr von diesen dummen Viechern an einem Tag erlegt, dann kommen sie sich wie Helden vor.«
    »Hundert Büffel an einem Tag? Wozu sollten sie so viele Tiere schießen?«
    »Zu nichts, Massa Luke. Nicht einmal die Haut nehmen sie. Sie töten, um zu töten. Manchmal schießen sie sogar von der Eisenbahn aus. Die Indianer verlieren die Herden, von denen sie leben.«
    »Aber die Indianer sind grausam. Warum bringen sie die Siedler so erbarmungslos um?«
    »Und die Siedler töten die Indianer, Massa Luke. Sagen, es sind gar keine Menschen, die Rothäute.«
    »So fängt es immer an, wenn Menschen Menschen töten. Zuallererst sprechen sie den anderen ab überhaupt Menschen zu sein«, warf der alte Mann ein und schaute einen Augenblick von seinen Zeichnungen auf. »Aber redet nicht so laut. Ich habe noch zu rechnen.«
    Am nächsten Morgen in aller Frühe brachte die Eisenbahn 24 chinesische Arbeiter, einen Dolmetscher, drei Iren, die etwas vom Schmiedehandwerk verstanden, eine komplette Feldschmiede, Eisen, Balken und Baumstämme. Der Platz vor der Brücke verwandelte sich innerhalb weniger Stunden in eine große Baustelle.
    Gleich gab es Schwierigkeiten. Die Arbeiter ließen durch ihren Dolmetscher sagen, sie wollten sich zunächst Hütten bauen; denn es sei noch früh im Jahr und viel zu kalt, um draußen zu schlafen. Und eine vernünftige Küche brauchten sie auch. Der alte Mann sah ein, dass diese Wünsche berechtigt waren, und stimmte zu. Aber bevor sie noch richtig anfangen konnten Unterkünfte zu errichten, hörten sie einen zweiten Zug heranrollen. Der zog vier Personenwagen auf das Nebengleis. In dreien waren Feldbetten aufgestellt. Der vierte war zur Hälfte eine vollständig eingerichtete Küche mit vielerlei Vorräten. Die andere Hälfte war ein Büro mit Zeichenbrettern und Papier, Bandmaßen und Wasserwaagen, Lot und Mess­latten.
    Der alte Mann ließ einen riesigen Schnürboden aufschlagen. Bereits an diesem Tag hatte er mehr als vierzig Balken

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