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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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mir dann Geschichten ein. Vielleicht auch Geschichten von ­Charly.«
    »Hieß er wirklich Bienmann?«, forschte der Junge.
    »Rein gar nichts fällt mir ein, wenn mir die Kehle kratzt«, erwiderte der Segelmacher mürrisch. Sosehr der Junge auch in ihn zu dringen versuchte, er ließ nichts aus sich herauslocken. Schlaufe um Schlaufe nähte er fest und tat, als höre er den Jungen gar nicht.
    Schließlich steckte er die große Nadel in ein mit Fett gefülltes Kuhhorn, rollte das Garn ein und erhob sich ächzend. Er musste sich am Holz des Fockmastes festhalten.
    »Hilf mir das Tuch in die Segelkammer zu schaffen, Junge. Ich werde dir dann etwas von Charly zeigen.«
    Die Segeltuchrolle war schwer. Der Junge lud sie sich auf den Rücken. Die Vorderluke stand offen. Der Segelmacher stieg hinunter ins Schiff. An der Kombüse vorbei ging er dem Jungen voran in die vorderste Kammer des Schiffes. Nur wenig Licht drang durch die geöffnete Luke bis hierhin und die Augen des Jungen gewöhnten sich nur allmählich an die tiefen Schatten. Es roch nach Tau und Teer. Ballen zusammengerollter Segel lagen ordentlich aufgestapelt an den Wänden. In einer Ecke war eine Koje aus Holz aufgeschlagen.
    »Schlafen Sie hier?«
    »Ja, der Kapitän hat es erlaubt. Die Mannschaft würde sich auch beschweren, wenn ich bei ihr schliefe. Ich huste nachts zu häufig.«
    Er zeigte dem Jungen, wohin er das Tuch legen sollte.
    »Sie wollten mir etwas von Charly zeigen.«
    »Ja, Junge. Da, schau, es steht hinter der Tür.«
    Der Junge hatte sich an das schwache Licht gewöhnt. Er erblickte hinter der Tür einen gewaltigen, halb gekrümmten Balken, der mit einem Beil roh behauen war.
    »Was ist das?«
    »Schau lange genug hin, dann wirst du es erkennen.«
    Tatsächlich sah der Balken so aus, als ob aus dem oberen Teil die Umrisse eines riesigen Männerkopfes herausgehauen worden ­wären.
    »Eine Figur?«
    »Nicht schlecht, Junge. Charly hat damit begonnen, für das Schiff eine Galionsfigur aus diesem Eichenbalken zu schlagen. Ein Neptun sollte das werden, wie die Meere keinen schöneren tragen. Der Kapitän war ganz versessen darauf. Wenn Charly mit dem Beil in der Hand auf dem Achterdeck vor dem Balken stand und beschrieb, wie er sich das fertige Werk dachte, mit einer Krone aus Seesternen im Haar und im Bart winzige Muscheln und Fischchen, einen goldenen Dreizack in der Faust und eine Seeschlange darauf gespießt, Junge, ich sage dir, dann leuchteten Charlys Augen mit denen des Kapitäns um die Wette. ›Charly, wenn Sie das schaffen‹, sagte der Kapitän, ›dann zahle ich Ihnen die vierfache Heuer.‹«
    »Und warum steht die Figur jetzt hier in der dunklen Ecke? Hat Charly es nicht geschafft?«
    »Junge, du bist wie ein Polyp. Wenn man dir eine Kleinigkeit erzählt, dann beginnst du einen ganz auszusaugen. Einen Satz von Charly wollte ich dir sagen. Hast mich zum Reden gebracht. Aber ohne Rum oder Schnaps werde ich jetzt stumm wie ein Fisch. So wahr ich Hendrik Majolle heiße.«
    Er hustete kurz, unterdrückte aber den Anfall, legte sich vorsichtig auf seine Koje und schloss die Augen. Schwarz und dünn bedeckten die zittrigen Lider die Augäpfel. Der Atem pfiff dem Segelmacher durch die Nase. Der Junge schlich sich hinaus. Als er an der Kombüse vorbeikam, winkte der Smutje Jonas ihn herein.
    »Na, konnte er sich erinnern?«, fragte er neugierig.
    »Ich glaube, er weiß von Charly eine ganze Menge. Aber er hat mir nur die roh gehauene Galionsfigur gezeigt, die Charly gemacht hat.«
    »Richtig. Das war damals ein großer Ärger. Wir waren weit vom Kurs abgekommen und landeten in Charleston an der Ostküste. Wir waren froh überhaupt einen Hafen zu finden. Erst hatten wir hinter Madeira drei Wochen lang in der Flaute gelegen, dann trieben uns Stürme, wohin wir nicht wollten. In den Fässern war kein Tropfen Trinkwasser mehr. Es blieb ein Rest von madigem Schiffszwieback. Die Passagiere, die doch eigentlich nach New Orleans wollten, fielen dem Kapitän um den Hals, als er die ›Neptun‹ in den Hafen von Charleston einschleppen ließ. Nur knapp die Hälfte der Leute wagte noch einmal einen Fuß auf die Planken zu setzen, um nach New Orleans weiterzusegeln. Dem Kapitän war das recht. So konnte er für ein paar Dollar Passage noch zwei Dutzend Carpetbagger an Bord nehmen, die auf dem schnellsten Weg in den Süden wollten . . . «
    »Carpetbagger? Was sind das für Leute?«
    »Es sind Aasgeier. Sie tragen ihren ganzen Besitz in einer Tasche bei

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