Der Lange Weg Des Lukas B.
dem Bottich zu waschen, den die Männer einmal am Tag mit frischem Meerwasser füllten. Er glaubte, dass die Zimmerleute schon bei der Kaffeeausgabe waren, denn auf dem hinteren Teil des Decks konnte er niemand von der Kolonne entdecken.
Kaum hatte er sich jedoch über den Bottichrand gebeugt, da sprang auf einmal Andreas Schicks, ohne dass der Junge ihn bemerkte, hinter der Großluke hervor, umschlang ihn von hinten und hielt ihn fest.
Alle Männer aus dem Steerage kamen dazu, bildeten eine Doppelreihe und fassten sich zu je zwei an den Händen. Schicks hob den Jungen zuerst empor und warf ihn dann auf die Arme der Männer. Die schrien: »Der Luke lebe hoch! Hoch! Hoch!« Und bei jedem Hoch schleuderten sie ihn empor, fingen ihn mit ihren Armen wieder auf und warfen ihn erneut in die Luft.
»Hört auf!«, schrie der Junge atemlos. »Ich bin doch keine Möwe.«
Schicks aber feuerte die Zimmerleute immer mehr an: »Höher! Höher! Höher!«
Der Junge hörte auf zu schreien und achtete darauf, dass er nicht mit dem Gesicht gegen die Arme der Männer schlug. Schließlich legten sie ihn auf die Deckplanken. Sie stellten sich rund um ihn. Der Lehrer hielt eine kleine Ansprache, aber der Junge war so verwirrt, dass er kaum ein Wort davon verstand.
Dann trat der alte Mann einen Schritt vor und sagte: »Luke, ich habe dir versprochen, dass du bei uns Lehrling sein kannst. Heute, an deinem 14. Geburtstag, nehmen wir dich zur Probe in unser Handwerk auf. Halte die Augen offen. Von jedem Mann aus der Kolonne kannst du etwas lernen. Sieh zu, dass du ein guter Geselle wirst und vielleicht sogar ein tüchtiger Meister.« Andreas Schicks reichte dem alten Mann ein langes, dünnes Holzscheit und schnappte zusammen mit Franek wieder den Jungen. Sie beugten ihm den Rücken, obwohl er wild um sich schlug. Der alte Mann langte mit dem Scheit dreimal kräftig zu und rief dabei:
»Den Ritter schlägt man mit dem Schwert,
damit er mutig kämpft.
Der Zimmerlehrling spürt die Gert,
damit sein Übermut sich dämpft.«
»Jetzt wird er getauft!«, brüllte Andreas Schicks. Sie zwangen den Jungen in den Waschbottich und drückten ihn dreimal völlig unter Wasser. Der Junge schluckte die salzige Brühe, kam hoch, spuckte, sprang schließlich heraus und schüttelte sich. Er biss die Zähne zusammen und heulte nicht. Er wusste es, jetzt gehörte er wirklich ganz dazu, jetzt war er einer von Bienmanns Kolonne.
Auf dem Vorderschiff schrillte ein Pfiff. Der Smutje trug mit einem Matrosen den Kaffee aus der Kombüse. Da ließen die Zimmerleute von dem Jungen ab, holten im Steerage ihre Blechtassen und stellten sich in die Reihe. Der Junge zog die nasse Hose aus und hängte sie zum Trocknen auf. Er streifte seine Tuchhose über, die er sonst nur an Sonntagen trug. Erst als er sah, dass der Smutje weißes Brot austeilte, merkte er, dass an diesem Tag wirklich Sonntag war.
Nach dem Frühstück wurde das Steerage aufgeräumt. Der alte Mann rief die Leute zusammen und kündigte an, dass man an diesem Tag einen Gottesdienst abhalten wolle. Zwar sei kein Priester an Bord und eine Messe könne nicht gefeiert werden, aber der Sonntag sollte sich doch von den anderen Tagen der Woche unterscheiden. Eine Frau aus dem Zwischendeck fragte, ob sie auch zu dem Gottesdienst kommen könne. Der alte Mann hatte nichts dagegen. Sie kam und mit ihr so viele Passagiere, dass das Steerage sie gar nicht alle zu fassen vermochte. Viele standen auf der Treppe und vor der Achterluke.
Der Lehrer stimmte das Lied »Nun danket alle Gott« an und der Gesang aus vielen Kehlen schallte weit über das Meer. Der alte Mann las ein Stück aus der Bibel vor. Er hatte einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte gewählt, in dem der Apostel Paulus die Mühsale seiner Reisen schildert. Der Junge staunte nicht schlecht und mit ihm haben wohl die meisten Liebenberger Zimmerleute sich gewundert, als nach der Lesung Lenski vortrat und sagte, er könne zwar keine richtige Predigt halten, aber ihm seien doch ein paar Sätze in den Sinn gekommen, die er allen mitteilen möchte. Das tat er dann kurz und bündig. Der heilige Paulus sei, wie man gehört habe und auch wohl schon längst wisse, oft auf Reisen gewesen. Das sei sicher mit mancherlei Beschwerden verbunden gewesen. Er sehe die Fahrt mit der »Neptun von Danzig« genauso.
»Man hat mir versichert«, sagte er, »wir fahren nach Amerika. Ich habe Amerika selbst nicht gesehen. Ihr habt Amerika auch nicht gesehen. Aber wir glauben
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