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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Gesicht geschrieben. Erst als der Steuermann ein Tauende in der Faust schwang, lief er auf den Mast zu.
    ›Immer nach oben schauen, Jesse‹, rief ich ihm leise zu, als er an mir vorbeirannte. ›Niemals nach unten, hörst du?‹
    Ohne anzuhalten, stieg Jesse in die Takelage empor, erreichte die Topp, zog sich an der Stange hoch und berührte die Rah mit dem Mund.
    ›Bravo!‹, schrie Charly ganz laut und die Mannschaft, die sich neugierig auf dem Achterdeck versammelt hatte, stimmte in den Beifall ein.
    ›Donnerwetter‹, sagte der Steuermann anerkennend, ›das hätte ich der verdammten Kröte gar nicht zugetraut. Dieser Sandsack auf Beinen hat doch mehr Mumm in den Knochen, als ich dachte.‹
    ›Komm runter, Jesse‹, schrie Charly. Alle merkten, was ich schon lange wusste, nämlich, dass Charly irgendetwas für den Jungen übrig hatte. ›Was kümmert dich der Moses?‹, sprach ihn Big Ben an. ›Sorgst dich ja um ihn wie eine leibliche Tante. Oder bist du etwa schwul und suchst einen Strichjungen?‹
    Es sah aus, als ob Charly ihm eins aufs Schandmaul schlagen wollte. Aber da tönte vom Großmast her ein lang gezogenes Heulen, als hätte irgendjemand einen jungen Hund auf den Schwanz getreten.«
    »Was war denn mit Charly und dem Moses?«, fragte der Junge.
    »Das habe ich später Charly auch gefragt. Da hat er mich wütend angekläfft und gesagt, ob ich auch von ihm denke, dass er etwas mit dem Jungen habe. Ich habe mich entschuldigt und geantwortet, dass ich die Frage nicht böse gemeint hätte, aber irgendetwas müsse ihm an dem Moses doch gefallen. ›Er gleicht jemandem, den ich sehr, sehr gern hatte‹, sagte Charly leise.«
    »Hatte oder habe?«, unterbrach ihn der Junge. – »Was bitte?«
    »Sagte er ›er gleicht jemandem, den ich sehr gern hatte‹ oder sagte er ›er gleicht jemandem, den ich sehr gern habe‹«, wiederholte der Junge.
    »Was weiß ich? Vielleicht sagte er auch ›den ich sehr gern habe‹. Aber du verlangst für einen Kaffee mit Rum verdammt viel. So viel, dass ich bald die Geschichte vergesse, die ich dir eigentlich erzählen wollte. Wie war das noch? Richtig, der Moses hing oben in den Seilen und heulte wie ein junger Seehund. Als er den Beifall der Matrosen gehört hatte, dachte er nicht mehr an meine Warnung. Er schaute hinunter auf das Deck. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder, denn von oben sieht das Schiff verdammt schmal und klein aus. Er klammerte sich verzweifelt an der Rah fest. Die Mannschaft freute sich daran, ihn zittern zu sehen. Sie verspotteten ihn, schrien ihm dummes Zeug hinauf. Er solle springen, riefen sie, sie würden ihn schon auffangen, den Klabautermann solle er anrufen. Big Ben fragte, ob er kein Land sehen könne, und der Tölpel antwortete ihm sogar, nein, er sehe nur Wasser. Der Steuermann lachte, dass ihm die Tränen die Stumpfnase entlangliefen, und sein sonst so teigblasses Gesicht lief rosig an. Das ging so vielleicht eine halbe Stunde oder länger. Jesse wimmerte nur noch und es war abzusehen, dass der Wind ihn irgendwann herunterblasen würde. Da sprang mit einem Male Charly zum Großmast, nahm ein Tauende, kletterte ruhig hinauf, band sich den Jungen, der das willenlos mit sich geschehen ließ, auf dem Rücken fest und trug ihn herab. Du hörtest das Tauwerk in den Ringen knirschen, so still war es auf dem Achterdeck geworden. Alle waren gespannt, was der Steuermann mit Charly machen würde.
    ›Charly‹, schrie Broblow, als der gerade seine Last losgebunden und auf Deck niedergelegt hatte, ›Charly, komm her!‹
    Charly trat ruhig heran und stellte sich vor ihn hin.
    ›Hier bin ich, Sir.‹
    ›Wer, zum Teufel, hat dir gesagt, dass du das Würstchen da herabschleppen sollst?‹
    ›Das, was den Menschen in mir ausmacht, Sir‹, hat Charly ganz ruhig geantwortet.
    ›Den Menschen?‹, brüllte der Steuermann. ›Den Menschen! Er sagt, er sei ein Mensch, Männer, habt ihr das gehört?‹
    Er griff in die Seitentasche und holte eine flache Silberflasche heraus. ›Mein Tröster‹, sagte er zu der Flasche. Er trug sie immer mit gutem Rum wohl gefüllt dicht über seinem Herzen. Also, diese Flasche holte er heraus, drehte den Verschluss ab, der zugleich ein ziemlich großes Trinkgefäß darstellte, schüttete es mit ruhiger Hand randvoll und zur Überraschung der ganzen Mannschaft reichte er Charly den Rum hinüber und sagte: ›Trink auf den Menschen in uns.‹
    ›Ich trinke nicht, Sir.‹
    ›Nicht mit mir? Nicht mit dem ersten Steuermann

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