Der Lange Weg Des Lukas B.
Treppe und stemmte sich gegen die Luke.
»Ich will raus hier!«, krächzte er heiser. »Ich will nicht in diesem Stinkloch verfaulen. Ich will den Himmel sehen, wenn ich schon sterben muss.«
Mathilde versuchte ihn von der Treppe herunterzuziehen. »Andreas«, rief sie, »hilf mir, Andreas! Ich schaffe es nicht. Er ist zu stark für mich.«
Aber Andreas rührte sich nicht.
Der Junge raffte sich auf, wankte zur Treppe und hängte sich an den Gürtel des Lehrers.
Vielleicht wäre seine Hilfe nicht mehr nötig gewesen, denn Piet klappte zusammen. Seine Kraft verließ ihn, bevor er noch die Luke hochstemmen konnte. Er fiel von der Treppe, schlug hart mit dem Kopf gegen die unterste Stufe und lag regungslos auf dem Boden. Aus einer Platzwunde am Haaransatz quoll Blut und rann ihm über die Stirn. Der Junge schleppte sich zur Koje zurück, rüttelte den alten Mann und schrie: »Großvater! Verband! Wir brauchen Verbandszeug!«
Schwerfällig drehte der alte Mann den Kopf und stierte den Jungen aus glasigen Augen an.
»Der Lehrer hat sich den Kopf aufgeschlagen. Verband, Großvater, bitte.«
Der alte Mann gab sich alle Mühe zu verstehen, was der Junge von ihm wollte. Er richtete sich halb auf, suchte in seiner Tasche nach einem Schlüssel, zog den Schlüsselbund hervor, sank kraftlos zurück und flüsterte: »In der Kiste an der Wand dort.«
Der Junge nahm ihm den Schlüsselbund aus der Hand, suchte den passenden Schlüssel, fand schließlich den, der sich im Schloss drehen ließ, und riss das Verbandszeug aus der Kiste.
Mathilde hatte Piets Kopf in ihren Schoß gelegt und achtete nicht darauf, dass das Blut ihr Kleid besudelte.
»Halt ihm den Kopf hoch, Luke«, sagte sie. Geschickt legte sie den Verband an. »Wir wollen ihn in seine Koje schleppen.«
Sie schaute den Jungen an. Der nickte. Gemeinsam versuchten sie Piet vom Boden zu heben. Doch der schlaffe Körper war zu schwer für sie. In diesem Augenblick legte sich das Schiff stark auf die Seite. Mathilde rutschte, auf den Knien liegend, bis an die Wand des Steerages und Piets Körper mit ihr.
»Mir wird wieder schlecht«, murmelte der Junge.
»Ist gut, Luke«, sagte Mathilde. »Ich lege seinen Kopf in meinen Schoß.«
Der Junge zog sich in die Koje hinauf. Als er später zu Mathilde hinüberschaute, sah er, dass sie eingeschlafen war. Ihr Kopf war tief vornübergesunken und der Widerschein des matten Lichtes ließ ihr Haar kupfern aufglühen.
Es kam dem Jungen so vor, als ob das Schiff sich nicht mehr ganz so heftig bewegte. Im Zwischendeck begann laut und anhaltend ein Kind zu schreien. Als der Sturm so unvermittelt losgebrochen war, hatte es dort gepoltert und geklirrt. Allerlei Gerät, Kasten und Kisten schienen im Raum umhergerutscht zu sein. Schrille Schreie und laut gesprochene Gebete hatten sich gemischt mit wüsten Liedern und Verwünschungen. Erst nach Stunden war es ruhiger geworden. Eine Frauenstimme redete tröstend auf das Kind ein.
Vielleicht hat es sich verletzt, dachte der Junge. Er war stolz auf seinen Großvater, der so streng darauf geachtet hatte, dass im Steerage alles seefest gemacht worden war. Der Junge fiel in einen flachen Schlaf. Stunden später wurde er wach und zitterte vor Kälte. Die Luke war ein wenig geöffnet worden. Kühle, frische Luft strömte in den Raum. Das Schiff wurde nicht mehr wild hin und her geschleudert. Es legte sich zwar immer wieder auf die Seite, aber in seinen Lauf schien wieder Richtung gekommen zu sein.
Andreas Schicks stand auf der Treppe.
»Wie steht es?«, fragte der Junge.
Andreas Schicks gähnte und reckte sich: »Immer noch raue See. Aber sie haben das Großsegel wieder hochgezogen.«
Mathilde hatte Piet auf irgendeine Weise doch in die Koje bekommen. Einige Männer hoben ihre Köpfe.
»Schweinerei, verdammte«, schimpfte Warich, als er sich im Steerage umschaute.
»Fluche nicht, Warich. Lass uns lieber etwas gegen die Schweinerei tun«, sagte Mathilde. Sie brachte es fertig, dass die Männer, die halbwegs wieder auf den Beinen stehen konnten, die Kojen säuberten, den Kranken die verdreckten Kleider vom Leibe zogen und ihnen frische überstreiften, die Kübel leerten und das Steerage schließlich mit nassen Tüchern auswischten. Der alte Mann aber lag noch kraftlos in seiner Koje. Mathilde hatte ihm ein frisches Wollhemd angezogen. Dankbar streichelte er ihre Hand.
»Ab morgen musst du den Englischunterricht übernehmen«, sagte der alte Mann zu ihr.
»Wenn mich der Kapitän nicht
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