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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Sir.«
    Hendrik setzte sich.
    »Was hältst du von der Zimmerkolonne?«
    »Anständige Leute, glaube ich«, antwortete Hendrik. »Ich bin sicher, dass sie nichts von der versteckten Frau wussten.«
    »Courage hat das Mädchen«, sagte der Kapitän. »Schade, dass sie mit dem Lehrer verlobt ist.«
    »Verlobt ist nicht verheiratet, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Sir«, antwortete der Segelmacher.
    »Na, na, Alter«, lachte der Kapitän, »willst mich wohl immer noch unter die Haube bringen, wie?«
    »Mit 34 Jahren, Sir . . .«
    »Hast Recht, Hendrik. Aber es scheint so, als ob ich ganz und gar mit der ›Neptun‹ verheiratet bin.«
    »Ein gewisser Neptun, Sir, ist mir in diesen Tagen oft durch den Kopf gegangen.«
    »Neptun?«
    »In der Segelkammer steht doch noch die halbfertige Galionsfigur.«
    »Erinnere mich nicht an den Luftikus Charly! Es ist schon fast ein Wunder, dass er mir wenigstens das Bild da fertig gemalt hat.«
    Der Kapitän stand auf und schaute auf ein Gemälde, das hinter seinem Tisch an der Wand hing und eine Winterlandschaft zeigte. Auf einem eisglatten See, der von zerzausten, weiß gepuderten Kiefern gesäumt war, tummelten sich viele Menschen, liefen Schlittschuh, zogen Schlitten hinter sich her, schoben Scheiben über die Eisfläche und glitten über eine Eisbahn.
    »Schade um den Kerl«, sagte der Kapitän. »Der hatte das Zeug zu einem wirklichen Maler in sich.«
    »Ich dachte oft in diesen Tagen an die Galionsfigur, Sir«, wiederholte Hendrik beharrlich.
    »Und was ist bei diesem Nachdenken herausgekommen?«
    »Ich sah, wie der Zimmermeister Bienmann mit seinem Beil umgehen kann. Vielleicht ist er der Mann, der die Figur ganz aus dem Holz heraushauen kann.«
    »Der Zimmermeister?«
    »Ja, Sir. Sozusagen als Preis für die Passage seiner Tochter.«
    Verblüfft schaute der Kapitän den Segelmacher an. Dann sagte er: »Bist schlau wie ein alter Fuchs, Hendrik. Aber meinst du, das Mädchen soll ganz ohne Strafe davonkommen?«
    »Das geht wohl nicht, Sir. Aber mir fällt das Nähen auf dieser Reise schwer. Ich könnte zwei geschickte Hände gebrauchen, wenn das Klüversegel fertig werden soll.«
    »Zwanzig Tage Zwangsarbeit bis New Orleans, das hört sich nicht schlecht an, wie?«, brummte der Kapitän und schien den Vorschlag gar nicht so übel zu finden.
    »Sie kämen darum herum, Sir, eine Frau schlagen zu lassen.«
    »Wer denkt denn an das Tau«, sagte der Kapitän unwirsch.
    »Nun, Sir, Sie sagten mir auf der letzten Reise, dass die Angst vor dem Tau allein in der Lage ist die Mannschaft zu zähmen.«
    »Wie willst du sonst diesen Kreaturen beikommen?«
    »Sie kennen meine Meinung, Sir. Der Mensch ist kein Tier.«
    »Das hilft auch nicht weiter. Was soll man anfangen mit solch rohen und ungebildeten Männern? Wie sie zu Verstand bringen, wenn die Lust zum Aufruhr in ihren Augen glimmt?«
    »Niemand wird roh geboren, Sir. Und wenn ein Mensch nicht schreiben kann, nicht lesen, ist das seine Schuld?«
    »Lass gut sein, Hendrik. Als Segelmacher kannst du es dir vielleicht leisten, ein Lamm zu sein. Ein Kapitän, der wäre als Lamm ein Schaf. Abschlachten würden sie mich, bevor wir die Mississippimündung sehen.«
    »Sonderbar, Sir«, sagte Hendrik. »Die Angst vor der Mannschaft treibt Sie dazu zu schlagen. Die Angst vor dem Kapitän hält die Mannschaft in Schach und macht die Männer wütend. Die Angst der Menschen vor den Menschen, das ist ‘ne Art Teufel, der jedem hier im Nacken sitzt.«
    »Du kommst in Fahrt, Hendrik«, spottete der Kapitän. »Es dauert nicht mehr lange und du machst aus der ›Neptun‹ ein Sklavenschiff und aus mir einen Schlägerkapitän. Dabei weißt du gut, dass es auf diesem Schiff menschlicher zugeht als auf den meisten Pötten zwischen Danzig und Shanghai.«
    »Ja, Sir.« Hendrik starrte vor sich auf den Boden.
    »Aber dir ist’s nicht gut genug, Alter, wie?«
    »Gift, Sir, ist Gift. Es bleibt sich gleich, ob man nur einen Schluck trinkt oder gleich die ganze Flasche leert.«
    »Richtig, Hendrik, mit Schluck und Flasche kennst du dich ja aus«, sagte der Kapitän bitter. »Niemals Gewalt! Wie oft hast du mir das vor Jahren in die Kinderohren geblasen. Und was ist daraus geworden? Die Welt, die ist nicht so, wie du sie aus der Segelkammer sehen willst. Niemals Gewalt, das führt auf kurzem Weg ins ­Chaos.«
    »Sir, ich brachte, wenn Sie sich erinnern, mal vor Jahren einem Pudel ohne Strafe bei durch einen Feuerreif zu springen. Vier Monate hab ich

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