Der Lange Weg Des Lukas B.
hielten die Messer und Beile griffbereit, warteten darauf, dass Neptun mit harter Faust einen Mast zerschmetterte, standen bereit die Seile zu kappen, um den Rumpf des Schiffes vor dem gebrochenen Mast zu bewahren, wenn er, einem Rammbock gleich, an die Seile gefesselt, gegen die Bordwand stieß und das Schiff in die Tiefe zu bohren versuchte.
Am Kompass auf dem Achterschiff stand der Kapitän. Er hielt sich an der Stange fest. Es gab nichts zu befehlen. Die Mannschaft hatte das Salz aller Weltmeere auf den Lippen geschmeckt. Jedermann wusste, wo sein Platz war. Dieses Auf-der-Lauer-Liegen, diese Zeit des Wartens, des Ausgeliefertseins an den Aufruhr der Lüfte und der Wasser, das war es, was der Kapitän am meisten fürchtete. In solchen Augenblicken erfuhr er immer aufs Neue, was es heißt, Angst zu haben. Fast sehnte er herbei, dass irgendetwas auf dem Schiff sich losriss, dass ein Holz eingedrückt wurde, ein Tau hart umherschlug. Dann konnte er etwas tun, konnte Befehle geben, entscheiden, zupacken, das Schicksal wenigstens an einem Zipfel selber in die Hand nehmen. Aber dieses verdammte Abwarten, nichts tun können, das machte ihn fertig.
Wenn es heute gut geht, schoss es dem Kapitän durch den Kopf, wenn wir heute heil herauskommen, dann will ich es mit dem Rotschopf nicht so genau nehmen und wenn er tausendmal ein blinder Passagier ist.
Wenn es heute gut geht, dachte Mathilde, dann will ich nie mehr einem anderen Mann schöne Augen machen und nur noch den Piet kennen.
Wenn es heute gut geht, dachte Piet, ich versprech es, dann rühre ich die Mathilde nicht an, bis wir wirklich verheiratet sind.
»Wenn es heute gut geht«, flüsterte der Junge, »dann will ich nie mehr von meinem Vater denken, dass er ein Schuft ist.«
»So ein verdammter Mist«, sagte Grumbach, »wenn das nur gut geht.«
Über zwanzig Stunden schon wütete der Sturm. Es war im Steerage nicht daran zu denken, die Luke auch nur einen Spaltbreit zu öffnen, denn die Wellen überspülten ein ums andere Mal das Deck. Die Seekrankheit hatte fast alle Passagiere niedergeworfen. Mit Gustav Bandilla hatte es angefangen.
Zuerst hatten die Männer noch versucht sich zu den Kübeln zu schleppen, die der alte Mann bereitgestellt hatte. Aber bald schon lagen die vor Stunden noch so starken Kerle völlig ermattet und zu sterben bereit in ihren Kojen, unfähig sich von der Stelle zu rühren.
Ein fürchterlicher Gestank breitete sich aus. Wessen Magen sich nicht vom Schlingern, Stoßen und Stampfen des Schiffes umdrehen ließ, bei dem schaffte es die stickige Luft.
Jetzt priesen sich die glücklich, die zuerst gemurrt hatten, weil sie die oberen Kojen zugewiesen bekommen hatten.
Der alte Mann hatte sich ganz dicht an die Bordwand gedrückt. So reichte die Koje und konnte außer dem Jungen auch noch Mathilde aufnehmen. Lange hatte sich der Junge gegen den Stein im Magen und den Kloß im Halse gewehrt, aber schließlich ergab er sich in sein Schicksal.
»Wäre ich doch nie aus Liebenberg fortgegangen«, jammerte er immer wieder.
Mathilde und Andreas Schicks waren die Einzigen im Steerage, denen die See nichts anhaben konnte. Wenn Mathilde sich im trüben Licht der drei Sturmlaternen umschaute, fragte sie sich allerdings, ob es ein Vorteil sei, nicht in einer halben Ohnmacht alles über sich ergehen zu lassen.
Sie versuchte wenigstens die obere Koje sauber zu halten, wischte mit einem feuchten Tuch den Schweiß von den Stirnen, drängte die Männer in ihre Kojen zurück, wenn das Schiff sich heftig neigte und die willenlosen Körper herauszurollen drohten, sprang zur Hilfe, wenn einer dem Ersticken nahe war, tröstete Hugo Labus, der allen Ernstes bat, sie möge seine Frau und die Kinder grüßen, wenn es mit ihm zu Ende gehe.
»Hilf mir doch, Andreas«, hatte sie mehrmals gebeten. Andreas Schicks aber wollte nichts hören und nichts sehen. Er hatte sich zur Wand gedreht und schien zu schlafen.
Dem Jungen fiel der Rat des Smutjes ein. Er hängte seinen Kopf über den Kojenrand tief nach unten.
»Du wirst stürzen«, rief Mathilde erschreckt und versuchte ihn wieder neben den alten Mann zu drücken.
»Lass mich. Ich habe mich mit dem Gürtel an dem Pfosten festgebunden. Der Koch sagte, so geht es besser.«
Tatsächlich fühlte er sich bald nicht mehr ganz so schlapp und der Würgegriff um Hals und Brust lockerte sich ein wenig.
Die Nacht war fast vorüber, als der Lehrer plötzlich aufsprang und aus seiner Koje taumelte. Er erreichte die
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