Der Lange Weg Des Lukas B.
Schenkel.
›Nein, nein‹, stotterte Charly. ›Ich dachte, Sie machen vielleicht einen Scherz.‹
›Gut‹, beruhigte sich der Mann. ›Bestell mir ein Bier und einen Schnaps und ich will, weil du heute Geburtstag hast, die Frechheit vergessen.‹
Charly gab dem Wirt ein Zeichen und der brachte die Getränke. Der Mann winkte Charly dicht zu sich heran und sagte leise zu ihm: ›Siehst du den Dickwanst dort? Das ist der Bierkutscher. Frag den, der kann dir sicher mehr erzählen.‹
›Ja‹, sagte Charly.
Er lief in seiner Not zu dem Bierkutscher und sagte: ›Verzeihung, ich hatte meine goldene Uhr dort auf den Tisch gelegt.‹
›Ja?‹, sagte der Bierkutscher. ›Schön leichtsinnig, das.‹
›Haben Sie vielleicht . . .?‹, fragte Charly
›Da hört sich doch alles auf‹, brüllte der Bierkutscher und griff nach der Peitsche, die hinter ihm an der Wand lehnte. ›Willst wohl das ganze Wirtshaus hier verdächtigen, wie?‹
›Nein, nein‹, stammelte Charly. Ohne dass Weiteres dazu gesagt wurde, brachte der Wirt dem Bierkutscher ein Bier und einen Schnaps.
›Auf deine Kosten?‹, fragte der Bierkutscher. Charly nickte. Der Bierkutscher zeigte sich schnell besänftigt.
›Da, schau‹, sagte er. ›Da bei dem Tisch gleich neben der Tür, da sitzt ein Jud. Frag den. Der weiß möglicherweise mehr.‹
Tatsächlich hatte dicht bei der Tür ein junger, etwa 25-jähriger Jude Platz genommen. Als Charly, den Tränen nahe, auf ihn zutrat, da sprang er auf und rief: ›Schämen sollten Sie sich. Was treiben Sie mit dem Jungen für ein schändliches Spiel. Was sind Sie nur für ein Vater, ein böser.‹
Charlys Vater war aufgesprungen. Zornesröte färbte sein Gesicht. Er schüttelte drohend die Faust. Der Jude warf ein Geldstück auf die Tischplatte und drückte sich durch die Tür davon.
›Saujud, verdammter‹, rief der Bierkutscher. ›Den ganzen Spaß hat er uns verdorben, der Spielverderber.‹
Charly kehrte verwirrt an seinen Platz zurück. Der Vater zog die Uhr aus der Tasche und schob sie auf den Tisch. ›Habe ich dir nicht gesagt, dass du darauf aufpassen sollst wie auf deinen Augapfel?‹, knurrte er.
›Du hattest sie weggenommen?‹, fragte Charly.
›Aufpassen solltest du darauf! Aufpassen!‹ Drohend stand der Vater vor dem Jungen. Sie starrten sich an. Dem Jungen verschwamm das Gesicht des Vaters in seinen Tränen. Schließlich wandte er sich ab. Er ließ die Uhr liegen.
›Aus dem wird nie ein Mann‹, rief der Vater ihm nach. ›Herr Wirt, noch eine Runde für die Gäste.‹« Hendrik verstummte.
»Das hat Charly dir wirklich erzählt?«
»Wort für Wort«, beteuerte der Segelmacher. »Er hat mir die Uhr gezeigt! Er habe sie nur genommen, weil seine Mutter ihn darum gebeten habe und sie sogar auf die Knie gefallen sei vor ihm. Genauso hat er es erzählt. Dann ist Charly plötzlich aufgesprungen. Die Augen haben wild gefunkelt. Er hat sein Messer herausgerissen und es dreimal hintereinander tief in das Holz des Fockmastes gestoßen. Du kannst die Einstiche noch erkennen, wenn du sie suchst.
›Ich bringe ihn um!‹, hat er dabei gerufen. ›Ich bringe ihn eigenhändig um.‹«
Der Junge saß zusammengekauert. Schließlich fragte ihn der Segelmacher: »Was meinst du, Junge, war das dein Vater?«
»Ich glaube nicht, Hendrik«, antwortete der Junge leise. »Ich gehe jetzt ins Steerage. Gute Nacht.«
Der Segelmacher zog den Korken aus der Flasche und nahm einen langen Schluck. Dann legte auch er sich schlafen.
Mehrmals war der Junge aufgewacht. In der Lukenöffnung stand schwarz die Nacht. Er wusste nicht, wie spät es war, drehte sich auf die andere Seite und tauchte in kurze, wilde Träume. Großvater schwebte in einem eigenartig wiegenden Gang heran und reichte ihm mit weißen Händen eine kleine goldene Uhr. Die war von großem Gewicht und zog ihn beinahe zu Boden. In der Ferne sah er seinen Vater wie durch blaue Tabakswolken. Vater winkte ihm zu. Der Junge versuchte ihn zu erreichen, wollte laufen, rennen, aber die Uhr lastete wie ein Bleiklotz auf seiner Brust und lähmte seine Beine und seinen Willen. Von hinten näherten sich dem Jungen tapsige, schwere Schritte, Hände griffen nach ihm. »Vater!«, schrie er verzweifelt. »Vater!« Er schreckte aus dem Schlaf, fuhr hoch, mit dem Kopf stieß er gegen die Deckplanken. Der Schmerz weckte ihn vollends. Sein Hemd klebte auf der schweißnassen Haut.
Schritte polterten tatsächlich. Zwölf Matrosen stampften wie jeden Morgen
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