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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Kind krank?«, fragte der Kapitän.
    Die Frau lachte auf.
    »Krank? Krank sind wir im Zwischendeck alle irgendwie. Aber während die Herrschaften in den Kajüten weißes Brot und Äpfel speisen und Zwiebeln kauen gegen den Skorbut, hat dieses Kind nichts bekommen außer Zwieback, muffigen Zwieback, aufgebröselt in stinkendem Wasser. Wir mussten dem Koch noch dankbar sein, dass er wenigstens das Wasser abgekocht hat und uns eine Hand voll Zucker zusteckte. Aber, sagen Sie selbst, Kapitän, kann ein Kind davon leben?«
    »Also um drei«, sagte der Kapitän.
    Der Segelmacher schnitt aus den Resten des zerfetzten Segels lange Bahnen zurecht und nähte die beiden Toten darin ein. Der alte Mann half ihm dabei. Aus dem Ballast des Schiffes wurden schwere Steine mit in die Leichensäcke gesteckt. Noch ehe er mit dieser Arbeit fertig war, brachte die Alte das kleine Mädchen.
    »Kaum gelebt, schon gestorben«, murmelte sie. Dann redete sie den alten Mann an und sagte: »Kann der Zimmermann nicht die Leichenpredigt halten? Er hat so etwas, was einem die Augen öffnet für Dinge, die man immer schon gesehen hat, aber niemals zuvor richtig erkannte.«
    »Ich werde Lenski fragen«, versprach der alte Mann.
    In den folgenden Stunden reifte der Plan des Jungen. Der Kapitän würde sicher nicht nur für einige Minuten aus der Kajüte fort sein, wenn die Toten ins Meer gestoßen wurden. Wenn es überhaupt eine Chance für ihn gab sich unbemerkt in der Kajüte umsehen zu können, dann musste das in dieser Zeit geschehen.
    Lange vor drei Uhr schon versammelten sich alle Passagiere an Deck. Die Männer hatten sich ihre dunklen Jacken übergezogen und die Frauen trugen schwarze Kleider. Der Kapitän und die Schiffsoffiziere kamen vom Achterdeck und auch die Kajütenpassagiere betraten das Vorschiff, auf dem die Toten auf rohen Brettern aufgebahrt lagen.
    Ein Choral klang auf, als der Junge sich fortstahl. Unbemerkt gelangte er in die Kapitänskajüte. Mit fliegenden Händen durchwühlte er den Schreibtisch und den Wandschrank nach Bildern, aber er fand keine.
    Dann versuchte er das Bild hinter dem Schreibtisch von der Wand zu nehmen. Das gelang zunächst nicht. Der Rahmen schien fest mit der Wand verbunden zu sein. Erst als der Junge die Klinge seines Messers zwischen Rahmen und Wand schob, vermochte er das Bild zu fassen, es hochzuheben und die Ösen von den Haken zu lösen.
    Der Rahmen war aus Eichenholz und hatte ein beträchtliches Gewicht. Rundum war die hölzerne Rückwand des Bildes mit Leinenstreifen verklebt. Der Junge zauderte einen Augenblick, trennte dann aber mit einem raschen Schnitt den Streifen der Länge nach auf und konnte das dünne Holz der Rückwand zurückbiegen und die Malerleinwand sehen. Er hielt das Bild so, dass das Licht des Kajütenfensters in die Spalte hineinschien.
    Da sah er es genau. Groß und deutlich war die Sechseckwabe mit den beiden Keilen aufgemalt. Und zu allem Überfluss hatte Charly auch noch die Anfangsbuchstaben seines Namens K und B und die Jahreszahl 1865 dazugeschrieben.
    »Lukas!«
    Dem Jungen rutschte vor Schreck das Bild aus den Händen. Mat­hilde hob es auf und sagte voll mühsam unterdrücktem Zorn: »Ich habe es mir fast gedacht, als ich dich wegschleichen sah. Du machst nichts als Ärger. Weißt du, dass der Kapitän dich bestrafen kann?«
    »Ich habe es gewusst«, sagte der Junge. »Ich habe es gewusst. Mein Vater war hier an Bord. Charly war mein Vater.«
    »Du träumst, Luke. Wie willst du das wissen?«
    Er nahm ihr das Bild aus der Hand, bog die Rückwand zurück und sagte: »Da, sieh selbst!«
    Sie erkannte das Zeichen.»Bist du sicher?«, fragte sie leise.
    »Du siehst es.«
    »Geh jetzt, Luke«, drängte sie ihn. »Die Totenfeier ist fast zu Ende. Ich will versuchen das Bild wieder an die Wand zu kriegen, bevor er kommt.«
    Der Junge verließ die Kajüte. Die Bretter lagen blank an Deck. Das Meer hatte die Toten aufgenommen. Der Junge konnte seine Gedanken nicht auf den Schluss von Lenskis Predigt lenken und auch das Vaterunser, das der Kapitän anstimmte, sprachen nur seine Lippen mit.
    Ich habe die Spur. Ich habe die Spur. Etwas anderes hatte in seinem Kopf keinen Raum. Erst als die Menschen auseinander strömten, kam auch Mathilde zurück.
    »Ich habe es nicht geschafft, das Bild aufzuhängen«, tuschelte sie ihm zu. »Ich bin gespannt, was daraus wird.«
    Dann redete sie auf den alten Mann und auf Piet ein und sagte zu dem Jungen: »Erzähle du ihnen, was du

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