Der Lange Weg Des Lukas B.
zurückkehren. Die Menschen im Zwischendeck haben ihre Träume von einer guten Zukunft in der Neuen Welt. Ich aber wäre am liebsten in der Alten geblieben. Ich wollte helfen, dass die Menschen in unserem Land größere Freiheiten bekommen, dass mehr Gerechtigkeit herrscht, gleiche Rechte für alle. Aber du weißt es ja, der König hat mir seine Gendarmen auf den Hals gehetzt.«
»Ziehen Sie doch mit uns.«
»Das werde ich für den Anfang auch machen. Vielleicht finde ich irgendwo in dem Land eine Stelle als Lehrer. Schließlich sind in den Jahren seit der Revolution von 1848 fast zwei Millionen Deutsche nach Amerika ausgewandert. Die müssen ja irgendwo geblieben sein.«
»Werden Sie für immer bleiben?«
»Für immer? Das weiß ich nicht. Es kann ja sein, dass sich in Preußen die Verhältnisse ändern. Vielleicht dürfen sich die Arbeiter bald zusammenschließen wie in Sachsen. Vielleicht haben irgendwann alle Bürger bei der Wahl die gleiche Stimme. Vielleicht kann ich eines Tages zurück, ohne dass sie mich hinter Schloss und Riegel bringen wollen.«
»Was wird aus Mathilde?«
»Wie meinst du das, Luke?«
»Sie sollten sie bald heiraten.«
»Wie kann ich sie heiraten? Ich habe keinen festen Boden unter den Füßen. Aber warum fragst du danach?«
»Nur so«, antwortete der Junge.
Ob alle Frauen so sind?, dachte er. Ob Lisa Warich so was auch machen würde?
Das Unglück kam unerwartet. Schon glaubten die Passagiere, dass der Sturm sich mit ein paar kräftigen Windstößen endgültig verabschiedet hatte, da brauste für nicht einmal eine einzige Minute von Kuba her eine gewaltige Bö heran, die die »Neptun von Danzig« voll traf. Das Schiff wurde stark auf die Seite gedrückt. Im Zwischendeck polterte es. Dumpf schlug irgendetwas gegen die Bordwand, Geschrei und Gekreisch mischten sich mit dem kurzen Aufheulen des Windes, Stille dann und nur noch das Stöhnen der Taue.
Der Junge war fest in die Nische zwischen Großmast und Neptunsfigur gepresst worden und hatte sich an den Seilen festgeklammert. Er hörte den Steuermann laut und bestimmt die Befehle geben. Die Pfeife des Bootsmanns schrillte die Kommandos. Dann war alles vorüber. Das Schiff richtete sich zögernd auf, ein kräftiger Wind blies, aber Gefahr ging nicht mehr von ihm aus.
Der Kapitän stürzte an Deck. Der Junge sah für einen Augenblick durch die geöffnete Tür Mathilde in der Kajüte stehen.
»Alles klar, Steuermann?«, fragte der Kapitän.
»Aye, aye, Sir. Ich habe den Wind gerochen und nur die halben Lappen aufziehen lassen.«
»Gut, Broblow. So ein Stoß kann ein Schiff auf den Grund bohren. Der Karibik ist nicht zu trauen.«
»Jetzt wird’s vorüber sein, Sir. Bald können wir zum Kap Antonio hinüberwinken. Das nächste Land, das wir sehen, werden die Staaten sein.«
»Ja, Broblow. Nützen wir den Wind. Hoch die Segel!«
Aber bevor die Matrosen in die Masten klettern konnten, trugen Männer aus dem Zwischendeck zwei in Decken gehüllte Körper heraus und legten sie vor dem Kapitän auf die Planken.
»Eine Kiste hat sich losgerissen«, sagte einer von denen, die die Last an Deck geschleppt hatten. »Sie waren gleich tot.«
»Nein!«, schrie eine junge Frau, ein Mädchen fast noch. »Sie sind nicht tot! Sie dürfen nicht tot sein! Sehen Sie nach, Kapitän.« Sie wollte sich über die Gestalten stürzen, doch zwei starke Burschen hielten sie fest.
Der Kapitän beugte sich nieder und schlug die Decken zurück. Die Kiste hatte die Glieder der beiden zerschlagen. Der Kapitän drückte ihnen die Lider über die starren Augen. Die junge Frau sank in sich zusammen.
»Ich habe es ihm gesagt«, jammerte sie leise. »Ich habe es ihm tausendmal gesagt, dass er bleiben soll. Aber er wollte nicht auf mich hören.«
Sie ließ sich von den Burschen ins Zwischendeck zurückführen. Die alte Frau, die eine Art Sprecherin der Zwischendeckpassagiere geworden war, trat an den Kapitän heran und sagte: »Sie war mit dem einen noch nicht einmal ein halbes Jahr verheiratet. Das andere ist ihr Bruder. Sie ist jetzt ganz allein auf diesem verdammten Schiff. Was soll aus ihr werden?«
»Die Bestattung ist um drei Uhr«, antwortete der Kapitän abweisend und wandte sich ab.
»Bereiten Sie sich auf drei Tote vor«, sagte die alte Frau bitter. Er drehte sich zu ihr. »Hat die Kiste noch einen Dritten erschlagen?«
»Nicht die Kiste«, antwortete die Alte. »Der Säugling, vor ein paar Tagen geboren, ist vor einer Stunde gestorben.«
»War das
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