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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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zu drücken, eine Entschuldigung für die eigene Unfähigkeit, sich nicht in dem Maße um andere zu sorgen, wie man sollte?
    Nach etwa einer Stunde verließ ich meine Mutter, um die Nacht in Mqhekezweni zu verbringen. Als ich ankam, war bereits Nacht, und in meiner Freude ließ ich die Autohupe erklingen. Ich hatte nicht bedacht, wie dieses Geräusch aufgenommen würde, und so kamen die Leute ängstlich aus ihren Hütten, weil sie dachten, es könne die Polizei sein. Doch als sie mich erkannten, wurde ich von den Dorfbewohnern mit Überraschung und Freude begrüßt.
    Doch statt wie ein Kind in meinem alten Bett zu schlafen, wälzte ich mich hin und her und fragte mich erneut, ob ich den richtigen Weg eingeschlagen hätte. Ich zweifelte nicht daran, daß ich richtig gewählt hatte. Damit will ich nicht sagen, daß der Freiheitskampf von höherem moralischen Wert ist als die Sorge um die eigene Familie. Er ist es nicht; es handelt sich nur um verschiedene Dinge.
    Am nächsten Tag kehrte ich nach Qunu zurück und verbrachte den Tag, indem ich Erinnerungen mit den Menschen austauschte und über die Felder rings um das Dorf wanderte. Ich besuchte auch meine Schwester Mabel, die praktischste und lebenslustigste meiner Schwestern, die ich zärtlich liebte. Mabel war verheiratet, doch ihre Ehe hatte eine interessante Vorgeschichte. Meine Schwester Baliwe, älter als Mabel, hatte sich verlobt, und auch das Brautgeld war bereits gezahlt. Doch zwei Wochen vor der Eheschließung lief Baliwe, ein lebhaftes Mädchen, davon. Wir konnten das Vieh nicht zurückbekommen, da es bereits angenommen war, und so entschied die Familie, Mabel solle Baliwes Platz einnehmen, und so geschah es. Am späten Nachmittag fuhr ich nach Mqhekezweni ab. Wieder traf ich in der Nacht ein und tat meine Ankunft mit lautem Hupen kund, doch diesmal stürzten Menschen aus ihren Häusern, weil sie glaubten, daß Justice, ihr Häuptling, heimgekehrt sei. Justice war von der Regierung seines Häuptlingsamtes enthoben worden und lebte damals in Durban. Zwar hatte die Regierung einen anderen für ihn eingesetzt, doch ein Häuptling ist ein Häuptling aufgrund seines Geburtsrechts, und er übt Autorität aufgrund seines Blutes aus. Man freute sich, mich zu sehen, doch wäre die Freude noch größer gewesen, hätte man Justice daheim willkommen heißen können.
    Meine zweite Mutter, No-England, die Witwe des Regenten, hatte bei meiner Ankunft fest geschlafen, doch als sie in ihrem Nachtgewand erschien und mich sah, geriet sie so in Aufregung, daß sie mich aufforderte ^sofort zu einem nicht weit entfernten Verwandten zu fahren, um dort zu feiern. Sie hüpfte in mein Auto, und wir starteten zu einer wilden Fahrt über das ungezähmte Veld, um zu dem keineswegs so nahen Rondavel von No-Englands Verwandten zu gelangen. Dort weckten wir eine weitere Familie auf, und erst kurz vor Morgengrauen kam ich schließlich dazu, müde und glücklich einzuschlafen.
    Während der folgenden zwei Wochen zog ich gleichsam zwischen Qunu und Mqhekezweni hin und her, wohnte abwechselnd bei meiner Mutter und No-England, besuchte und empfing Freunde und Verwandte. Ich aß die gleichen Speisen, die ich als Kind gegessen hatte, wanderte über dieselben Felder und blickte empor zum selben Himmel bei Tage, zu denselben Sternen bei Nacht. Für einen Freiheitskämpfer ist es wichtig, daß er die Verbindung zu seinen eigenen Wurzeln bewahrt, denn der Wirbel und der Tumult des Stadtlebens vermag die Vergangenheit auszulöschen. Der Besuch stellte mich gleichsam wieder her. Er erneuerte meine Gefühle für den Ort, an dem ich aufgewachsen war. Ich war wieder der Sohn meiner Mutter in ihrem Haus; ich war wieder das Mündel des Regenten im Großen Platz.
    Der Besuch gab mir auch die Möglichkeit, die Entfernung zu messen, die ich zurückgelegt hatte. Ich sah, wie meine Leute an ein und demselben Ort geblieben waren, während ich, mich weiterbewegend, neue Welten gesehen und neue Ideen gewonnen hatte. Ich begriff erneut, was ich bereits zuvor erkannt hatte: daß es von mir richtig gewesen war, nach Fort Hare nicht in die Transkei zurückzukehren. Hätte ich es getan, so wäre meine politische Entwicklung gelähmt worden.
    Nachdem sich das Sonderkomitee, das sich mit der Einführung der Bantu Authorities befaßte, vertagt hatte, fuhr ich mit Daliwonga zum Krankenhaus in Umtata, um Sabata zu besuchen. Ich hatte gehofft, mit Sabata über die Bantu Authorities sprechen zu können, doch sein

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