Der lange Weg zur Freiheit
als ich fragte, was für den Sonntag arrangiert sei – in Transvaal für mich ein Arbeitstag –, erhielt ich zur Antwort, der Sabbat sei dem Kirchenbesuch vorbehalten. Ich protestierte, jedoch ohne Erfolg. Kommunismus und Christentum schlossen sich, zumindest in Afrika, nicht wechselseitig aus.
Eines Tages, während ich in der Stadt umherwanderte, bemerkte ich eine weiße Frau, die in der Gosse saß und an Fischgräten herumnagte. Sie war arm und offensichtlich ohne Zuhause, doch sie war jung und nicht unattraktiv. Ich wußte natürlich, daß es arme Weiße gab, Weiße, die genauso arm waren wie Afrikaner, doch man bekam sie nur selten zu Gesicht. Ich war daran gewöhnt, schwarze Bettler am Straßenrand zu sehen, doch es überraschte mich, eine weiße Bettlerin zu sehen. Während ich normalerweise afrikanischen Bettlern nichts gebe, fühlte ich mich gedrängt, dieser Frau Geld zu geben. In diesem Augenblick wurde mir klar, welche Spiele die Apartheid mit einem treibt, denn die alltäglichen Nöte, die Afrikaner betreffen, werden als naturgegeben hingenommen, während mein Herz sich sofort dieser verschmutzten weißen Frau zuwandte. In Südafrika arm und schwarz zu sein war normal, doch arm und weiß zu sein war eine Tragödie.
Vor meiner Abreise aus Kapstadt suchte ich die Büros von New Age auf, um einige alte Freunde zu treffen und mit ihnen über ihre Redaktionspolitik zu sprechen. New Age, Nachfolgerin verbotener linker Publikationen, war eine Freundin des ANC. Es war früh am Morgen des 27. September, und als ich die Stufen hinaufstieg, konnte ich von innen wütende Stimmen hören und das Verrücken von Mobiliar. Ich erkannte die Stimme von Fred Carneson, dem Manager und lenkenden Kopf des Blattes. Ich hörte auch die groben Stimmen der Sicherheitspolizisten, die dabei waren, die Büroräume zu durchsuchen. Leise verließ ich das Gebäude und erfuhr später, daß dies nicht ein vereinzeltes Vorkommnis gewesen war, sondern Teil der größten landesweiten Razzia, die es in der südafrikanischen Geschichte jemals gegeben hatte. Die Polizei, bewaffnet mit Papieren, die sie bevollmächtigten, alles zu beschlagnahmen, was in ihren Augen Beweismaterial war für Hochverrat, Aufruhr oder Verletzung des Kommunisten-Gesetzes, durchsuchte im ganzen Land die Heime und Büros von über 500 Personen. Auch mein Büro in Johannesburg wurde durchsucht, ebenso wie die Wohnungen von Dr. Moroka, Father Huddleston und Professor Matthews.
Die Razzia warf einen Schatten über meinen letzten Tag in Kapstadt, signalisierte sie doch die erste Stufe der neuen, noch repressiveren Strategie des Staates. Zumindest würde eine neue Serie von Bannungen ausgesprochen, und ich war sicher, zu den Betroffenen zu gehören. An jenem Abend hatten Reverend Teka und seine Frau etliche Menschen in ihr Haus geladen, um mir Lebewohl zu sagen, und mit dem Reverend an der Spitze knieten wir nieder, um für das Wohl der von den Razzien Betroffenen zu beten. Ich brach zu meiner Lieblingszeit auf, drei Uhr morgens, und innerhalb einer halben Stunde befand ich mich auf der Straße nach Kimberley, jener rauhen Minenstadt, wo im vergangenen Jahrhundert Südafrikas Diamantengeschäft begonnen hatte.
Ich sollte für eine Nacht im Haus von Dr. Arthur Letele bleiben. Arthur, der später Generalschatzmeister des ANC werden sollte, war ein skrupulöser praktischer Arzt. Ich hatte eine Erkältung, und kaum hatte er mich begrüßt, schickte er mich auch schon zu Bett. Er war ein mutiger, engagierter Mann und während der Mißachtungskampagne an der Spitze einer Gruppe von Widerständlern ins Gefängnis gegangen. So zu handeln, wie er es jetzt tat, war riskant für einen Arzt in einer Stadt, wo politische Aktionen von Schwarzen eine Seltenheit waren. In Johannesburg hatte man die Unterstützung von Hunderten oder sogar Tausenden, die sich für die gleichen gefährlichen Aktivitäten engagierten, doch in einem Ort wie Kimberley, wo es keine liberale Presse, kein Rechtswesen und keine Kontrolle der Polizei gab, erforderte eine solche Handlungsweise wahrhaften Mut. In Kimberley waren während der Mißachtungskampagne führende Mitglieder des ANC vom lokalen Magistrate zu Stockhieben verurteilt worden.
Trotz meiner Erkältung erlaubte mir Arthur, vor einem ANC-Treffen am folgenden Abend in seinem Haus zu sprechen. Als ich dann Vorbereitungen traf, um am nächsten Morgen um drei Uhr aufzubrechen, bestanden Arthur und seine Frau darauf, daß ich zum Frühstück
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