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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
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ostentativ seine Sachen und rückte damit von mir ab zu einem entfernten Sitz. Diese Art von Verhalten war eher die Regel als die Ausnahme. Niemand nahm das Wort »Kaffer« in den Mund; es war eine eher stillschweigende Feindseligkeit, die ich dennoch genau spürte.
    Unser Juraprofessor Mr. Hahlo war ein strenger, vergeistigter Mensch, der bei seinen Studenten nur wenig Eigenständigkeit tolerierte. Was Frauen und Afrikaner betraf, so huldigte er einer merkwürdigen Rechtsauffassung, kurz gesagt: Beide seien für den Beruf des Rechtsanwalts nicht geschaffen. Nach seiner Ansicht handelte es sich bei der Rechtswissenschaft um eine Sozialwissenschaft, und Frauen und Afrikaner seien nicht diszipliniert genug, um ihre Feinheiten zu verstehen. Einmal erklärte er mir, ich sollte nicht an der »Wits« studieren, sondern meinen akademischen Grad über die UNISA erwerben. Ich tat wenig, um ihn Lügen zu strafen: Meine Leistungen als Student waren weniger als mittelmäßig.
    An der Universität lernte ich viele Menschen kennen, die mit mir das Auf und Ab des Freiheitskampfes teilten und ohne die ich nur wenig erreicht haben würde. Viele weiße Studenten gaben sich große Mühe, mir das Gefühl zu vermitteln, willkommen zu sein. Während meines ersten Semesters lernte ich Joe Slovo und Ruth First, seine spätere Frau, kennen. Damals wie heute besaß Joe einen so scharfen und durchdringenden Verstand, wie ich ihn nur selten erlebt habe. Er war ein glühender Kommunist, verstand es aber auch, hinreißende Parties zu geben. Ruth hatte ein offenes Wesen und war eine begabte Schriftstellerin. Beide waren Kinder jüdischer Immigranten.
    Freundschaft fürs Leben schloß ich mit George Brizos und Bram Fischer. George, Kind griechischer Einwanderer, vereinigte in sich ein sympathisches Wesen mit einem scharfen Verstand. Bram Fischer, Teilzeit-Dozent an der Universität, war Sproß einer vornehmen Afrikaner-Familie: Sein Großvater war Ministerpräsident der Orange River Colony gewesen, sein Vater war Oberster Richter des Oranje-Freistaates. Obwohl er Ministerpräsident von Südafrika hätte werden können, wurde er einer der mutigsten und unerschütterlichsten Freunde des Freiheitskampfes, die ich je gekannt habe. Ich freundete mich auch mit Tony O’Dowd, Harold Wolpe, Jules Brawde und seiner Frau Selma an, alle politische Radikale und Mitglieder der Kommunistischen Partei.
    Auch schloß ich enge Freundschaft mit einer Anzahl indischer Studenten. Zwar war in Fort Hare eine Handvoll indischer Studenten gewesen, doch sie blieben meist in ihrer separaten Unterkunft, und ich hatte nur wenig Kontakt zu ihnen. An der »Wits« freundete ich mich an mit Ismail Meer, J. N. Singh, Ahmed Bhoola, Ramlal Bhoolia. Das Zentrum dieser verschworenen Gemeinschaft war Ismails Appartment im Kholvad House, vier Zimmer in einem Wohngebäude inmitten der Stadt. Hier studierten, debattierten und tanzten wir sogar bis in die frühen Morgenstunden. Die Wohnung wurde zu einer Art Hauptquartier für junge Freiheitskämpfer. Ich schlief manchmal dort, wenn es zu spät geworden war, um den letzten Zug zurück nach Orlando zu erwischen.
    Der gescheite, ernste Ismail Meer, in Natal geboren, wurde an der juristischen Fakultät von »Wits« eine Schlüsselfigur des Transvaal Indian Congress. J. N. Singh, ein beliebter, stattlicher Bursche, hatte keinerlei Probleme mit Hautfarben und war gleichfalls Mitglied der Kommunistischen Partei. Eines Tages waren Ismail, J. N. und ich ziemlich in Eile, um nach Kholvad House zu gelangen, und stiegen in die Tram, obwohl wir wußten, daß zwar Inder zugelassen waren, jedoch keine Afrikaner. Wir waren kaum eingestiegen, als der Schaffner sich an Ismail und J. N. wandte und ihnen auf afrikaans (kapholländisch) erklärte, ihr »Kaffer-Freund« sei nicht zugelassen. Ismail und J. N. explodierten fast; sie sagten dem Schaffner, er wisse ja nicht mal, was das Wort »Kaffer« bedeute, und es sei eine Beleidigung für sie, wenn man ihren Freund so nenne. Der Schaffner ließ sofort die Tram halten und rief einen Polizisten herbei, der uns festnahm, zur Wache brachte und uns anzeigte. Wir wurden aufgefordert, am nächsten Tag vor Gericht zu erscheinen. Am Abend verabredeten Ismail und J. N. Bram Fischer solle uns verteidigen. Am nächsten Tag schien der Magistrate großen Respekt vor Bram und dessen familiären Bindungen zu haben. Wir wurden sofort freigesprochen und erfuhren so aus erster Hand, daß Justitia keineswegs völlig blind

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