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Der langsame Tanz

Der langsame Tanz

Titel: Der langsame Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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bis hinten durch und läßt nur die Artikel aus, die von der Bonner Regierung handeln.
     
    *
     
    Ich werde jetzt ein Römer, denkt er abends in der Badewanne, während er den Geräuschen des Hinterhofs, den Stimmen von Kindern und Frauen, durchsetzt vom dunklen Scheppern gußeiserner Töpfe und dem Gekreisch aus einer Comicsendung im Fernsehen, lauscht.
    Er hat keine Lust, irgendwohin zu reisen. Jetzt nicht mehr.
    Mein Kleiderschrank ist hier, denkt er, mein fliegender Esel auch, und der Sinn des Lebens wird sich irgendwann schon einstellen. Muß ja nicht gleich morgen sein.
    Sein »Tagebuch eines Toten« fällt ihm wieder ein. Als Toter brauchte er einen falschen Paß.
     
    *
     
    Mitten in der Nacht wacht er auf und weiß auf einmal, was noch fehlt. Sein Bild. Dumm, daß er es nicht gleich in den Kofferraum gelegt hat, als er von Hamburg weg-fuhr. Es zeigt ihn nackt, wie jedes von Annes Bildern, ist groß und in der für sie typischen sparsamen Farbigkeit gemalt. In der Hauptsache Grau, Blau, etwas Ocker und Braun, und um einen Teil seiner Silhouette liegt ein weißlich-oranger Lichtstreifen. Seine Pose ähnelt ein wenig der des Denkers von Rodin, trotzdem wirkt das Bild nicht wie die Arbeit einer Studentin. Nicht epigonal. Es hat was, wie man so schön und verlegen sagt, wenn die Kriterien Mangelware sind. Er wird es holen. Es gehört ihm.
     
    *
     
    Die blaue Stunde zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags ist für sein Vorhaben die beste Zeit. Die Signora kauft ein, ihr Sohn schläft sich aus für die Nachtschicht, und die Rezeption der Pension ist verwaist. Bequem kann Martin über die Theke greifen und einen Paß nach dem anderen studieren. Ein Auge zur Eingangstür gerichtet, blättert er alle Pässe und Ausweise zuerst der deutschen und dann der übrigen Gäste durch. Außer einem Kanadier, der ihm entfernt ähnelt, ist leider nichts Brauchbares dabei.
    Er will einen deutschen Paß für seine Reise nach Hamburg. Für das »Tagebuch« ist das eine gute Studie.
    Wie klaut man einen Paß, wie kommt man damit durch, und wann braucht man ihn ? Er wird die Reise als Toter machen. Nur so. Als Test für die Geschichte. Vielleicht sollte er noch andere Pensionen durchsuchen ? Aber dort kennt er sich nicht aus. Er hätte in jeder ein paar Tage wohnen müssen, um zu wissen, wie und wann.
     
    *
     
    Drei Tage später hat er Glück. Herr Werner Lohrner stellt ihm seinen eingeschweißten fälschungssicheren Ausweis zur Verfügung. Hoffentlich hat er nichts aus-gefressen und ist in irgendeinem Fahndungscomputer gespeichert.
    Martin ändert seinen Haarschnitt, kauft sich eine dünnrandige Hornbrille mit Fensterglas und eine Krawatte, die der auf dem Ausweisfoto ähnelt. Er ist froh, daß er sich schon in den letzten Wochen, nur so, um zu sehen, wie das aussieht, einen Bart hat stehenlassen.
    Lohrner trägt keinen auf dem Bild. Der Bart kaschiert das Wichtigste, die Mund-und Kinnpartie.
    Das ist ein Spiel. Recherche für das Buch, weiter nichts.
    Den Ausweis wird er nur im Hotel vorlegen, an der Grenze wäre sein eigener Name die beste Tarnung. Wer sucht schon nach einem Toten ? Aber in Hamburg, wenn die Daten der Gäste noch immer mit den Einwohner-meldeämtern abgeglichen werden, wäre es besser, nicht als Leiche auf Urlaub zu reisen. Leiche auf Urlaub ? Auch ein guter Titel für das Buch.

32.
     
    Er hat einen Zettel auf Rudis Küchentisch hinterlassen und daneben eine Flasche Barbaresco. »Ich hol mir auch ein Bild, bin ca. Donnerstag wieder zurück, Gruß Martin«, und jetzt lauscht er den langsam abnehmenden Geräuschen im Zug. Die meisten Schlafwagenpassagiere sind schon seit Bellinzona im Bett, und nur wenige stehen noch rauchend in dem schmalen Gang und stellen sich mürrisch und ergeben auf eine schlaflose Nacht ein.
    In Basel sieht Martin den Perron hinauf und hinunter, ob Rudi den Frühzug nach Süden besteigt, aber da stehen nur die Zollbeamten mit müden und vom Neonlicht fahlen Gesichtern. Er hat das Abteil für sich alleine, jetzt kommt niemand mehr.
    Er ist müde und ein bißchen betrunken, aber gleichzeitig voller Unruhe und weiß, er wird nicht schlafen. Freut er sich auf Hamburg ? Nein, aber da ist ein Kitzel, etwas wie diebisches Vergnügen, Vorfreude auf den Bubenstreich, sich in die eigene Wohnung zu schleichen. Ein kleines, von Verbot und Heimlichkeit veredeltes Abenteuer.
     
    *
     
    Am Bahnhof Dammtor läßt er sich mit der Menge nach draußen treiben. Er fühlt sich, als wären seine Knochen

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