Der langsame Tanz
ersten Mal in seinem Leben veränderte er sich bewußt, beobachtete sich dabei und fragte sich immer wieder, wird sie das mögen, wird sie das verstehen, wenn du so bist oder so ? Manchmal fuhr er extra an der Hochschule vorbei, aber der Bau war immer dunkel. Er hoffte, sie würde eines Tages hinter ihm sitzen, die Tür zuschlagen und sagen : »Zu dir.«
33.
Rudi hat den Fattori gekauft. Als Martin zurückkommt, ist das Bild schon auf dem Weg nach Buenos Aires. Er setzt sich an den Küchentisch, und vor ihm landet wieder mal ein Bündel Scheine.
»Tageskurs von heute«, sagt Rudi. »Besser für dich.«
Es sind knapp neuntausend Mark.
Martin packt sein Bild aus und lehnt es an die Wand.
»Gut«, sagt Rudi nach einer Weile. »Guter Maler.«
»Malerin.«
»Ah ?« Er beugt sich vor, um die Signatur anzusehen.
»Im Geschäft ?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Tja, als Frau.«
»Wieso, als Frau, wie meinst du das ?«
»Frauen haben die schlechteren Karten«, sagt Rudi und lehnt sich zurück. »So mein ich das. Als Mann könnte die zur Zeit was werden. Hat alles, was grade beliebt ist.
Figürlich, überschaubar, zitiert die klassische Moderne, ohne ihr nachzueifern – doch. Vielleicht könnte sie ein bißchen gröber malen, mehr Schmutz, mehr Zufall, weniger Eleganz und weniger Malkultur. Und weniger Mühe. Mühe ist unmodern. Ungenial. Genial ist hin-gehauen. Sie müßte mehr hinhauen.«
»Sag ihr das.«
»Das klingt so muffig. Bist du sauer ? Soll ich so was nicht sagen ?«
Martin ist verwirrt. Ein so kenntnisreiches Urteil hätte er von Rudi nicht erwartet. Das klingt ja fast wie Liebe zur Malerei. Er hatte geglaubt, Rudi sei nur des Geldes wegen mit Kunst beschäftigt. Und auf einmal klingt er wie ein weiterer Anwärter auf Annes Verführungskünste. Einer, der auch bereit gewesen wäre, den Katapult zu spannen. Auf eine indirekte Art kommt Martin sich auch abgekanzelt vor. So als wolle Rudi ihm zu verstehen geben, daß er als Fachmann einen anderen Zugang habe und besser verbriefte Rechte, ein Bild wie dieses zu genießen.
»Ja, nein. Hat nichts mit dir zu tun«, lügt Martin. »Da ist nur eine gewisse Unordnung in meinen Gedanken über die Frau und ihre Bilder.«
Und wieder überrascht ihn Rudi, denn er sagt : »Gedanken ? Du meinst Gefühle, hm ?«
»Stimmt«, sagt Martin verblüfft, »aber seit wann redet man unter Männern von Gefühlen ? Bist du etwa psycho ? Oder schwul ?«
Rudi lacht laut und lange und sagt schließlich nur : »Wo lebst du denn ? Im Zweiten Weltkrieg ?«
Eine Zeitlang schweigen sie. Das war ein paar Grade zu intim, und jetzt fürchten sie die Konsequenzen. So gute Freunde sind sie nicht, daß sie einander solche Dinge fragen können, ohne hinterher verlegen jeder in eine andere Richtung zu schauen. Genaugenommen sind sie gar keine Freunde.
»Jedenfalls kann die Frau malen«, sagt Rudi und steht auf. »Ich muß los.«
Martin trägt das Bild in sein Zimmer und hängt es an die Wand gegenüber seinem Bett, so daß er es im Liegen betrachten kann.
Rudi ist die Treppe wieder hochgehastet und steht keuchend in der Tür. »Die schlechte Nachricht hab ich dir ja noch gar nicht gesagt. Sharon hat sich dein Auto klauen lassen. Sie war schon zweimal da und ist total zerknirscht.«
»Ach du Scheiße.«
»In Padua. Über Nacht war’s futsch. Sie ist nicht zur Polizei, sagt sie, hat sich nicht getraut. Ist einfach mit der Bahn weiter.«
Martin zuckt mit den Schultern, und Rudi geht wieder.
Schade. Aber kein Grund, sich zu ärgern. Siehst dir halt die Gegend alleine an. Hoffentlich sind sie nett zu dir, wer immer dich geklaut hat. Machs gut. Viel Spaß in Afrika oder Albanien.
Sollte er zur Polizei ? Den Wagen abmelden ? Nein.
Schließlich ist er tot. Untergetaucht. Das deutsche Finanzamt und die Versicherung würden sowieso nichts mehr von ihm hören, wozu also hier überflüssige Lebenszeichen von sich geben, die irgendwann mal von Computer zu Computer weitergereicht werden konnten.
Er existiert nicht, und das ist gut. Drei Jahre gilt sein Ausweis noch, so lange braucht er sich keine Gedanken zu machen. So lange kann er nach Herzenslust tot sein.
*
In der Lavanderia, wo er seine Wäsche abgibt, und auf dem Weg danach zur Stadt geht der Gedanke in ihm um : Wenn ich nun Annes Bilder kaufe ? Könnte ich nicht versuchen, hier in Rom, mit Rudis Unterstützung, ihre Karriere voranzutreiben ? Der große Unbekannte ?
Geld hab ich. Geld kann einiges erreichen. Sie wird
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