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Der Lavagaenger

Titel: Der Lavagaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Stoeckel
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Bahn
, sagte nun auch Hans. Sagte es besonders oft, als er zum Gehilfen, weil gedachten Nachfolger des Stationsvorstehers avancierte.
Wir von der Bahn
, Siyakuu, sind sicher. Wir haben hier eine Aufgabe. Und wir sind eine deutsche Gesellschaft. Das weiß auch die türkische Regierung.
    Zu spät begriff er, wie schnell und mit welcher Macht die Zugehörigkeit zu einem Volk, das Mächtige zu einem unerwünschten erklärt hatten, dieses
wir
aufspalten konnte. Selbst als die Gerüchte von Verhaftungen und Deportationen näher und näher kamen, gab es immer noch ein anderes
wir
: Ahmad, Siyakuu und Hans.
    Manchmal, Ahmad hatte es ihnen beigebracht, übten sie zu dritt den wirbelnden Tanz der Derwische. Sie drehten sich um ihre eigene Achse, die linke Hand wies zur Erde, die rechte war zum Himmel erhoben. All das geschah in heiterer Eintracht. Dennoch schien Hans unzufrieden.
    Ahmad mahnte: Hans, warte nicht auf die Erleuchtung, der Weg zu Gott ist lang. Auch wenn es geschehen kann, dass der seine zu uns sehr kurz ist.
    Ahmad tröstete. Denn Siyakuu wurde oft von der Sorge um ihren Vater bedrängt. Wir, sagte Ahmad, sind jetzt auch ein kleiner Konvent, und wenn du erlaubst, Siyakuu, werde ich hier die Mütterlinge behüten und ihre Kinderchen. Bis dein Vater zurückkommt, und wenn es tausend Häutungen dauert.
    Dann eines Tages gab es neue Hoffnung. Der neue Provinzgouverneur galt als den Armeniern freundlich gesinnt. Man hatte ihn deshalb, so erzählte man sich, von Aleppo im Süden nach Konya versetzt. Djemal Bey hatte auf eine Bürgschaft der Bahngesellschaft hin versprochen, den Fall Nokudian zu überprüfen.
    Nach dem Krieg, sagte Hans in jener Zeit der Ungewissheit oft, werden wir nach Bagdad fahren. Dann ist die Bahnlinie fertig, und deinen Vater nehmen wir mit!
    In den ersten Septembertagen kursierte das Gerücht, Djemal Bey sei in Konstantinopel bei Innenminister Talaat Pascha vorstellig geworden, weil in seiner Provinz Armenier spurlos verschwänden.
    Talaat habe geantwortet: Wenn dich ein Floh sticht, dann freu dich, wenn alle Flöhe verschwinden.
    Kurze Zeit später verschwand Djemal Bey, nicht spurlos, aber von seinem Posten. Die Provinz Anatolien bekam einen neuen Gouverneur und der Bahnhof Konya einen neuen Telegrafisten.
     
    Der neue Telegrafist hieß Estragon. Seine Mutter war Köchin in einem Münchner Hotel gewesen und liebte Gewürze über alles, ganz besonders Estragon. Estragon Kniestübl war aus der Zentrale der Bahngesellschaft in Konstantinopel nach Konya versetzt worden. Wegen, wie man munkelte, leichtfertigen Lebenswandels, welcher unter anderem häufiges Zuspätkommen zur Folge gehabt hatte. Offenbar war man in der Zentrale der Meinung, die fromme Pilgerstadt Konya böte weniger Möglichkeiten für Ausschweifungen. Irrtum, sich betrinken und verschlafen kann man überall.
    Einen Klumpfuß überspielte Estragon mit elegantem Auftreten und gelegentlichen Tänzelschritten. Auch im Dienst trug er weiße Wollpullover, sommers ärmellos und winters mit einem roten Schal drapiert. Jeden, der das Telegrafenzimmer betrat, zog er in amüsante Gespräche, denn er war charmant und von witzigen Anekdötchen voll. Gern gab er zum Besten, wie er seinem Vorgesetzten in Konstantinopel, als der ihn rügte, Hölderlin zitiert habe:
Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben … und macht mich nicht den Knechten untertan!
Jawohl, Hölderlin. Und wissen Sie, was der geantwortet hat: Ich müsse mich irren, der neue Personalchef heiße Söderlein und der habe so etwas mit Sicherheit nicht gesagt!
    Ansonsten ließ Estragon kaum eine Gelegenheit aus, sich über die Verhaftung seines Vorgängers und seine eigene Zwangsversetzung zu empören. So kam es, dass Siyakuu wieder öfter im Telegrafenzimmer anzutreffen war, um mit Estragon Pläne zur Befreiung ihres Vaters zu schmieden. Waghalsige und, wie Hans meinte, absurde Pläne.
    Schließlich öffnete sich für Estragon der Zugang zum Zauberkreis des Seidenraupenhauses. Er führte Abende ein, deren Fröhlichkeit durch Unmengen von Wein eine hitzig-verzweifelte Färbung erhielt. Anders als bei Ahmads Tänzen und Spielen lag jetzt etwas Betäubendes,etwas Besinnungslosmachendes in der Luft, dem sich vor allem Siyakuu hingab. Ahmad wurde stiller und stiller, wiegte den Kopf, und es sah so aus, als warte er auf etwas.
    All dies verursachte in Hans ein Grummeln. Es war ein böses Grummeln, das seine Vernunft in Schach zu halten sich mühte. Jetzt stürzte in seinen Träumen

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