Der Lavagaenger
Passanten und Autos nicht mehr zu sehen.
XVII
Keola Palaoa war Hans Kaspar begegnet, als er noch auf zwei Beinen durchs Leben und durch Vogeldreck ging. Der Vogeldreck war steinalt und ebenso hart, hieß wissenschaftlich ausgedrückt Kalziumphosphat und wurde auf dem Südseeatoll Nauru abgebaut und als Dünger in alle Welt verschifft. Unter den Arbeitern der Phosphatmine, hauptsächlich Chinesen und Bewohner benachbarter Inseln, war Hans Kaspar als Europäer ein Exot.
So stellen wir’s uns vor. Stellen es, wie Helder, vor das, was wirklich war.
Stellen wir uns also weiter vor: Am Abend nach dem Untergang der
Roosevelt
war Hans Kaspar in seiner Rettungsweste dahingetrieben. Ohne Hoffnung und zu schwach selbst für die Angst.
Gegen Sonnenuntergang hatte der Himmel japanisch geflaggt: die Sonne rot im milchweißen Dunst. Schemenhaft schob sich etwas heran. Groß, kantig, träge, ein Schiff, geisterhaft still ohne Motorengeräusch. Ein Fliegender Holländer. Nein, ein schlaffes Fahnentuch am Mast kündete von seiner Herkunft, die war japanisch. Deutlich sah Hans Kaspar jetzt die Niete in den grauen Panzerplatten.
Da rief er und schrie. Wunderte sich selbst, dass er das so laut noch konnte. Wunderte sich, dass er so schnell Antwort bekam. Ein Zuruf, in den Lauten fremd wie das Schiff, doch deutlich beruhigend im Klang. Und die Stimme, die ihm jetzt auffordernd zusprach, kam von oben. Über ihm, auf einer Arbeitsbühne außenbords, saß einer, hatte eben seine Arbeit beendet und ließ sich mittels Winde zu ihm herab. So wunderbar gerettet, schwebte Hans Kaspar aufwärts,vorbei an noch frischen schwarzglänzenden Schriftzeichen in der Sprache dieses seltsamen Abends.
Der Japaner, mit kahlgeschorenem Kopf unter der Offiziersmütze und dicken schwarzen Brauen über einem feingeschnittenen Gesicht, führte den Geretteten über ein menschenleeres Deck, über Treppen und durch lange Gänge in die Messe.
Aus den flinken, wie Reiskörner über den Tisch springenden Worten entnahm Hans Kaspar etwas, was er für den Namen seines Retters hielt: Jakumoto.
Jakumoto war der Kapitän des Kreuzers, und er war allein. Die Mannschaft hatte sich, als das Schiff, von einem feindlichen Torpedo manövrierunfähig geschossen, im Sturm dahintrieb, in die Boote gerettet. Jakumoto hatte das getan, was er für seine Pflicht hielt, er war an Bord geblieben. Doch das Meer hatte ihn nicht in seine dunklen Tiefen gesogen, sondern das Schiff von Welle zu Welle und Woge zu Woge geschoben, als wisse es selbst nicht, wohin mit diesem Kasten. Jakumoto harrte tapfer auf diesem treibenden Militärstützpunkt aus. Da die Gefechtspause schon außerordentlich lange dauerte, hatte er begonnen, die Wände mit Schriftzeichen zu bemalen, erst die seiner Kajüte, dann die der Offiziersmesse, dann die der Unteroffiziers- und Mannschaftsmessen, dann die der Unterkünfte, die der Gänge und Maschinenräume. Gestern erst hatte er sich mangels Fläche entschlossen, die Stahlplatten der äußeren Panzerung mit Schriftzeichen zu bedecken.
Jakumotos etwas frostige Höflichkeit erwärmte sich schlagartig, als Hans Kaspar versuchte, sein Herkommen zu erklären. Die ruhmlose deutsch-japanische Waffenbrüderschaft hatte einige Vokabeln des Achsenpartners in Jakumotos Gedächtnis hinterlassen. So dass beide begriffen, hier hatten sich zwei Schiffbrüchige getroffen.
Nach einem reichhaltigen Mahl aus den schier unerschöpflichen Konservenvorräten des Kreuzers und etlichenGläschen Reiswein begann Jakumoto aus seinen Werken vorzutragen. Er führte Hans Kaspar durch die Messen und Gänge, verharrte hier und da, um vorzulesen. Schließlich tappten sie in mondloser Nacht nur im Schein einer Karbidlampe über das Deck.
Sein jüngstes Haiku hatte Jakumoto auf dem Turm eines Geschützes platziert. Diskret hielt sich das Meer zurück, nur sanft klopften die Wellen an die Bordwand. Jakumoto, suchend nach den passenden deutschen Worten, las mit zögernder Stimme:
Der dunkle Garten
Dem Herzen gleich. Erstrahlt
Die Kirschenblüte.
Mit der letzten Silbe brachte eine Windböe die Lampe zum Erlöschen, und für einen Moment war jeder der beiden in der Dunkelheit und dem Aufbrausen des Meeres allein.
Wenn der Krieg zu Ende ist, brach Jakumoto das Schweigen, werde ich das ganze Schiff mit Versen bedeckt haben. Ich träumte: Jedes Schriftzeichen verwandelte sich in eine Blume, die der Wind aufs Meer hinaustrieb, wo sie versanken. Ich sah sie sacht zum Grund des Meeres
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