Der Leberwurst-Mörder
fertig ist, und ziehe gleichzeitig an der Leine in Richtung Küche.
»Rika, nein!« Jule will mich zurückhalten, doch Mara hat nun auch etwas gehört und meint nur: »Lass sie mal.«
Einen Augenblick später sehen wir es.
Ein kleines Kätzchen, ähnlich getigert wie Frieda und Willy, aber in einem noch viel stärker leuchtenden Goldton. Das Kleine ist völlig verängstigt und huscht unter ein niedriges Regal, in dem Schüsseln und Pfannen stehen.
»Na komm, du Süße, hab keine Angst«, lockt Jule das Tierchen und kniet schon neben Mara am Boden.
Ich möchte mithelfen und stecke schnüffelnd meinen Kopf unter das Regal. Dort hockt eindeutig eine kleine Schwester von Willy und Frieda. Das sagt mir meine Nase, während ich meinen Kopf immer weiter vorschiebe. Dabei stoße ich gegen eine Pfanne, die scheppernd zu Boden fällt.
Rums!
Im selben Moment schießt das erschrockene Kätzchen wieder unter dem Regal hervor. Geistesgegenwärtig kann Jule es packen. Sie nimmt das Kleine vorsichtig auf den Arm, streichelt es sanft und flüstert liebevolle, beruhigende Worte in seine Katzenöhrchen. Es tut den beiden Freundinnen gut, sich um das Kätzchen kümmern zu können, das lenkt sie von dem traurigen Fund im Flur ab.
Kurze Zeit später kündet immer lauter werdendes
Tatütata
den Notarzt an. Mit schnellen Schritten kommt eine junge Ärztin die Treppe hinaufgehastet, gefolgt von zwei Rettungssanitätern. Mara, Jule und ich haben uns auf den Hausflur zurückgezogen, um ihnen Platz zu machen. Die Ärztin hat kurze schwarze Haare und ein sehr zartes Gesicht. Sie sieht gar nicht aus wie jemand, dem fast täglich der Tod begegnet. Sondern eher wie eine von den Studentinnen, die im Sommer im Stadtpark barfuß auf der Wiese liegen und mich manchmal sogar streicheln. Geschickt prüft die Ärztin Puls und Atmung und streicht vorsichtig mit den Fingern über die Würgemale. Dann sieht sie uns traurig an.
»Es tut mir leid, sie ist tot. Sind Sie mit der Frau verwandt?« Mara erklärt, dass wir nur zufällig wegen einer Katze vorbeigekommen seien und die Tür offen gestanden habe.
Jule schaut immer noch fassungslos auf die tote Liane.
»Das hat sie nicht verdient«, flüstert sie. »Sie war bestimmt ein guter Mensch.«
Zwei uniformierte Polizisten kommen ebenfalls heraufgeeilt. Langsam wird es ziemlich eng hier oben im Flur. Ich verstecke mich, so gut ich kann, hinter Mara und Jule, denn vor der Polizei habe ich einen tierischen Respekt. Sie können einen Hund, wenn er allein unterwegs ist, einfach mitnehmen und im nächsten Tierheim abliefern. Und dort will ich auf gar keinen Fall wieder hin.
Kaum hören die Polizisten von der Ärztin, dass die Frau tot ist und wahrscheinlich sogar erwürgt wurde, werden sie hektisch. Der Ältere verlangt von allen Anwesenden, vor der Wohnungstür zu warten, um keine Spuren zu verwischen. Wir sollen uns nicht vom Fleck bewegen, bis die Mordkommission eintrifft. Sein Kollege telefoniert hastig.
Inzwischen kommt auch Fräulein Kossmehl auf leisen Sohlen die Treppe herauf und stöhnt entsetzt auf, als sie Liane so da liegen sieht. Fragend sieht sie die beiden Freundinnen an und flüstert: »Mein Gott, was ist denn passiert? Die arme Liane, ist sie etwa ...?«
Ich glaube, sie traut sich nicht, das Wort
tot
auszusprechen, weil es so endgültig klingt. Jule nickt nur stumm, und Mara legt tröstend den Arm um die alte Dame, als sie sieht, wie ihr die Tränen in die Augen schießen.
Wie lange wir so da stehen, weiß ich nicht. Die Menschen treten vorsichtig von einem Fuß auf den anderen, und ich habe mich in eine Lücke zwischen diesen Füßen auf den Boden gelegt. Hunde sind viel geduldiger als Menschen, wenn irgendwo gewartet werden muss.
Irgendwann stapfen wieder kräftige Schritte die Treppe hinauf, die zu zwei Kriminalbeamten gehören. Ein großer, dicker Mann mit Halbglatze stellt sich als Hauptkommissar Patullek vor. Sein kleiner, schmächtiger Kollege sagt zunächst einmal gar nichts. Jule stupst Mara vorsichtig an und raunt ihr ins Ohr: »So wie diesen Patullek hab ich mir Schmerbauch vorgestellt.«
Obwohl die Notärztin mit den beiden Sanitätern nun wieder fort ist, drängen sich jetzt insgesamt sieben Menschen, ein kleiner Kater und ein Hund auf dem winzigen Hausflur vor der Dachgeschosswohnung. Ich bekomme kaum noch Luft und hechele vor mich hin. Einerseits wünsche ich mich jetzt auf die Wiese an die frische Luft, andererseits finde ich es sehr spannend, bei einem echten
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