Der Leberwurst-Mörder
Auto anhält. Meine Angst ist unbegründet, Jule streichelt mich beruhigend, nimmt mich an die Leine und wir marschieren los. Flocke wartet im Auto, was bedeutet, dass er die ganze Zeit schlafen wird. Die Katzenkinder hat Jule zu Hause gelassen, wo sie hoffentlich keinen Unsinn machen werden.
Gleich hinter der ersten großen Tür gibt es eine Art Pförtnerkabine, in der zwei uniformierte Polizisten sitzen und streng gucken. Sie fragen, wer wir sind und wohin wir wollen. Mara und Jule antworten ihnen freundlich, und in diesem Moment kommt auch Fräulein Kossmehl hinzu. Sie ist ziemlich aufgeregt und sehr froh, uns hier schon zu treffen.
»Allein würde ich mich in dem riesigen Gebäude sicher verlaufen«, murmelt sie.
Die alte Dame hat wieder eines ihrer Strickkostüme an – diesmal allerdings sind kleine Elefanten draufgestickt. Langsam glaube ich, bei Fräulein Kossmehl im Kleiderschrank sieht es ähnlich aus wie in ihrem Laden – jedes Teil ist mit etwas Tierischem verziert. Ihr müssen Tiere wirklich sehr wichtig sein. Ihre grauen Löckchen wackeln, während sie mit kleinen Tippelschritten neben Mara und Jule zum Aufzug läuft. Mir gefällt, dass wir dort noch ein wenig warten müssen, denn die alte Dame streicht mir immer wieder sanft über den Kopf und flüstert: »Braves Mädchen.«
Das scheint uns beide zu beruhigen, und so schaue ich sie freundlich schwanzwedelnd an, als Zeichen, dass ich sie verstehe.
Nicht, dass ich ein ängstlicher Hund wäre, nein, schließlich gehöre ich zur Rasse der Jagdhunde. Aber wenn wir, kaum dass wir Patulleks Büro betreten, mit einem gebrüllten
Himmelherrgottnochmal, wer hat denn gesagt, dass Sie den Köter mitbringen sollen!,
begrüßt werden, dann erschrecke ich mich doch. Ängstlich blicke ich zu Jule hoch und kann mich nicht entscheiden, ob ich vor Schreck bellen, knurren oder vielleicht doch vor Angst winseln soll. Sie ist genauso erschrocken wie ich und schaut den unhöflichen Mann ganz entsetzt an.
Fräulein Kossmehl rettet die Situation, indem sie flötet: »Guten Morgen, Herr Hauptkommissar, wie Sie sehen, sind wir ALLE da, nur die kleine Katze haben wir zu Hause gelassen, wenn’s recht ist. Der Hund war doch dabei, als die Leiche gefunden wurde, vielleicht ist er ein wichtiger Zeuge?« Dabei lächelt sie den Herrn Patullek überaus freundlich an und legt den Kopf mit den kleinen Löckchen schief, so wie ich es manchmal tue, wenn ich nachdenke.
Patullek ist einen kurzen Moment sprachlos, dann hebt er resignierend die Hand und bekommt tatsächlich ein
Tut mir leid, ich war wohl etwas heftig!
über die Lippen. Ich würde am liebsten von einem Ohr zum anderen grinsen, wenn ich nur könnte, denn jetzt schaut die alte Dame verschwörerisch zu mir und blinzelt mir mit einem Auge zu. Tatsächlich, wir verstehen uns!
Der Hauptkommissar möchte zunächst mit Jule, Mara (und mir) sprechen und bittet Fräulein Kossmehl, auf dem Flur zu warten. Die beiden Freundinnen müssen ihm dann ganz genau schildern, wie sie Liane Eichenbaum gefunden haben. Patullek schreibt eifrig mit, obwohl, wie ich sehen kann, im Hintergrund ein Tonbandgerät läuft, das jeden Ton aufzeichnet. Kenne ich aus dem
Tatort
. Fast scheint die Befragung beendet, denn Patullek legt Block und Stift auf dem Tisch ab, lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und fragt ganz beiläufig: »Was wollten Sie eigentlich von Frau Eichenbaum?«
Jule und Mara tauschen einen kurzen Blick, ein Nicken, und dann beginnt Jule zu erzählen. Von Anfang an, wie sie Philipp über das Internet kennengelernt hat und kurze Zeit später Willy vor ihrer Tür fand. Nun übernimmt Mara das Wort und berichtet von ihrer Onlineunterhaltung mit Manuel und dem Karton mit Frieda. Der Kommissar sitzt da, schaut die beiden Freundinnen an, als würden sie chinesisch reden, räuspert sich zwischendurch mehrmals, kratzt sich am Kinn, aber er unterbricht sie nicht. Als die Erzählung an die Stelle kommt, wie Mara und Jule im Tierheim erfahren haben, dass Liane den Anrufbeantworter mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme besprochen hat, sagt Patullek kurz
Stop!,
worauf Mara verstummt und ihn mit großen Augen ansieht.
»Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sie wollen mir weismachen, dass der Mord an Frau Eichenbaum etwas mit ein paar Katzenkindern zu tun haben könnte?«
»Wir wollen Ihnen gar nichts weismachen. Sie haben gefragt, warum wir bei Liane waren, und die Wahrheit ist, dass wir sie zur Rede stellen wollten, warum sie
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