Der Leberwurst-Mörder
vorstellen?«
Ich sehe, wie Jule die Zähne zusammenpresst und schluckt.
»Franco Rossi«, rettet der hübsche Polizist mit einem Lächeln die Situation und streckt Jules Mutter die Hand zum Gruß entgegen.
»Angenehm, Carla Anders«, flötet Jules Mutter und schaut Franco neugierig ins Gesicht. »Sind Sie Jules Freund?«
»Mama!« Jule erwacht aus ihrer Starre. »Wir wollten noch einen Kaffee trinken. Willst du auch einen?«
»Ach, Kind, du weißt doch, dass ich dann die ganze Nacht kein Auge zukriege. Aber einen kleinen Cognac würde ich nehmen.«
»Oh ja, den kann ich jetzt auch gebrauchen«, stöhnt Jule.
Kurz darauf lümmeln wir alle auf den Couchen herum, es riecht nach Kaffee und Schnaps. Die drei Menschen sind nach einer Runde Cognac deutlich entspannter.
Carla erzählt: »Ich hatte letzte Nacht einen schrecklichen Traum. Danach konnte ich nicht anders, als heute Mittag den Zug zu nehmen und auf ein verlängertes Wochenende herzufahren. Freitags und montags habe ich ja keine Vorlesungen. Zum Glück«, setzt sie noch hinzu.
Jule scheint nicht der gleichen Meinung zu sein, was das Glück betrifft, wenn ich ihren Blick richtig deute. Aber sie sagt nichts, sondern lässt Carla weiterreden.
»Du wurdest entführt, mein Kind. Warst gefangen in einem Haus mit so hässlichen Wänden und Gittern vor den Fenstern. Ich bin schweißgebadet aufgewacht und kam gar nicht mehr zur Ruhe. Wenn das nun eine böse Vorahnung war, so wie damals, als Tante Friedel gestorben ist.«
»Mama, Tante Friedel war zweiundneunzig und hatte einen Schlaganfall. Mir geht’s prima.« Dabei wendet sie ihr Gesicht Franco zu und hat um ihre Augen wieder dieses Strahlen und die kleinen Lachfältchen.
Franco strahlt zurück. Er steht auf, verabschiedet sich von Carla und bedankt sich bei Jule für den wundervollen Abend. Sie folgt ihm zur Tür, ich höre noch das Wort
telefonieren
, dann ist er fort.
Erwartungsvoll blickt Carla zu Jule auf, rutscht aufgeregt hin und her wie ein kleines Mädchen und fragt dann: »Und? Ist es was Ernstes?«
Jule scheint überhaupt keine Lust zum Antworten zu haben, sie kommt demonstrativ gähnend ins Zimmer zurück.
»Mama, im Gästezimmer ist das Bett bezogen. Lass uns morgen weiterreden, ja?«
Carlas Gesichtsausdruck verrät, dass sie enttäuscht ist. Doch sie kennt ihre Tochter anscheinend gut genug, um zu wissen, dass sie heute nichts mehr von ihr erfahren wird. So lässt sie sich widerspruchslos von Jule nach oben in das kleine Gästezimmer geleiten, und ich stelle wieder einmal fest, wie ähnlich sich die beiden sind, zumindest äußerlich. Die gleichen blonden Haare, nur dass Carla sie etwas kürzer trägt, gerade mal schulterlang. Beide Frauen haben die gleiche schlanke Figur. Ich kann mir gut vorstellen, dass Carla, als sie jung war, so aussah, wie Jule heute aussieht. Beide sind sehr klug – Jule schreibt Bücher, und Carla unterrichtet Studenten in Berlin. Und trotzdem haben sie zu vielen Dingen so verschiedene Meinungen. Ob das immer so ist bei erwachsenen Menschenkindern und ihren Müttern?
Die neugierigen Katzenkinder ziehen mit Carla ins Gästezimmer. Jules Mutter hat die drei Geschwister sofort ins Herz geschlossen, das spüren die Kleinen natürlich auch. Mitten in der Nacht jedoch kommen die kuscheligen Bauchwärmer der Reihe nach wieder zu mir ins Körbchen gekrochen.
Mit Carla am Samstagmorgen zu frühstücken ist lustig! Für mich hat sie als Geschenk ein Gummihuhn mitgebracht, das mich ein wenig an Yvonnes provokante Lieblingshenne erinnert. Es quietscht laut, wenn ich darauf herumkaue, was sofort die neugierigen Katzenkinder anlockt. Also lasse ich das Herumknautschen vorläufig sein, denn mit Carla zu frühstücken, bringt ein weiteres Vergnügen: Ständig fällt ihr,
völlig unbeabsichtigt
, wie sie betont, etwas herunter, und ich habe Spaß daran, mit den Katzenkindern zusammen darauf zu lauern, wer von uns als Erstes ein Stückchen Käse oder Wurst zu fassen bekommt. Fast ist es wie bei Mara unter dem Apfelbaum.
Carla schiebt genüsslich ein Stück Marmeladenbrötchen im Mund hin und her und beginnt mit: »Also, Kind, weißt du ...«
Aus Erfahrung weiß ich, dass Jule bei solchen Einleitungen sofort in Alarmbereitschaft springt, denn meistens folgt aus ihrer Sicht nichts Gutes, auch wenn Carla da anderer Meinung ist. Und tatsächlich, Jule runzelt skeptisch die Stirn, während Carla munter fortfährt: »Ich hab mir da mal Gedanken gemacht. Du bist einfach zu
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