Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
SACHEN . WIR HAHBEN EIN BUCH GELEHSEN DANN SKULBTUR UND FÜR MICH DIE PFERDE .
»›Für mich die Pferde?‹«, frage ich. »Was soll das heißen? So kann man keinen Satz beenden.«
Mühsam liest Mattia die Zeilen noch einmal, dann reißt er die Augen auf.
»Doch, kann man.«
Kann man in der Tat. Dann lassen wir es eben so.
»Wir sind reif für die Ferien, Mattia. Wir sind beide zu müde.«
Er klickt auf »Drucken«, aber es tut sich nichts. Die Tinte ist leer.
»Würdest du gerne in Urlaub fahren? Irgendwohin mit anderen Jugendlichen zum Beispiel?«
Mattia sucht seinen Ordner auf dem Desktop, speichert das Dokument dort ab.
»Ja«, sagt er schließlich. »Aber mit normalen. Keinen behinderten.«
Ich streiche ihm die Haare aus der Stirn.
»Schauen wir mal, wo ein Platz frei wird.«
Sein gekonnter Umgang mit der Maus zaubert uns etwas auf den Bildschirm: ein Getöse von Schritten, Leuten, Gelächter. Das Video, das Riccardi im Ägyptischen Museum gemacht hat.
Die Videokamera nimmt die Mitschüler auf, dann schnellt sie von einer Seite des Ganges zur anderen, streiftdie Exponate des Museums, schwenkt sofort wieder zur anderen Seite, um sich auf Dinge und Personen zu stürzen. Andreas Welt, die minütlich vor seinen Augen zusammenbricht.
Scheidungen, Kinder, Vernachlässigungen, Pflegschaften.
So steht es nicht auf dem Schild, aber so ähnlich.
Der Eingangsbereich ist elegant: Besser kann man nicht überzeugt werden, dass die Kanzlei ihr Geld wert ist.
Die Sekretärin will mir unbedingt einen Termin geben. Sie hält es nicht für möglich, dass ich tatsächlich da bin, obwohl mein Name nicht im Terminplan steht.
»Heute ist Sitzungstag, ich kann Ihnen nicht genau sagen, wann …«
»Ich warte auf ihn.«
Die Versuchung ist groß, wieder nach Hause zu gehen. Meine Tasche hält mich aufrecht: Ich presse sie an mich und gehe im Zimmer umher. Die Wände sind in einer satten Farbe gestrichen. Lachs. Die Sekretärin nimmt wieder ihre Position hinter dem Empfangstresen ein, ohne den Blick von mir zu wenden. Ab und zu klingelt das Telefon, ihre höfliche Stimme vergibt Termine, bedankt sich, verabschiedet sich.
Jetzt begreife ich.
Meine Beharrlichkeit und mein Alter beunruhigen sie. Sie ist sich sicher: Ich habe einen Lebenslauf in der Tasche und bin hier, um ein Vorstellungsgespräch zu erwirken. Wie eine angehende Anwältin sehe ich nicht gerade aus: Also bin ich hier, um ihre Stelle zu kriegen, und habe mich für diesen Anlass nicht anständig zu kleiden gewusst.Es würde mir aber sowieso nichts nutzen. Wie es scheint, habe ich mit einem der Kanzleiinhaber gevögelt. Laut dem Schild am Eingang kommen zwei in Frage: Savarese oder Morelli. Und nach dem kurzen Blick zu urteilen, den Savarese mir zuwirft, als er mit gelockerter Krawatte den Raum betritt, besteht kein Zweifel, mit welchem.
Das Büro ist klein, aber sein eigenes Reich: Bücherregale, vollgestopft mit roten und blauen Ordnern, geschützt von einer Schiebetür aus Glas, bunte Karteischränke, ein Mac, Familienfotos.
»Mach's dir bequem.«
Er bedeutet mir, auf seinem Schreibtischsessel Platz zu nehmen, ich bleibe jedoch stehen, während er die Krawatte zum Kleiderhaken schleudert, die ihn nur um Haaresbreite verfehlt.
»Also bist du hier drin der Chef.«
Savarese zuckt mit den Schultern.
»Mein Großvater.«
»Das kommt aufs Gleiche raus«, sage ich. Er gibt darauf keine Antwort, lehnt sich an den Schreibtisch und verschränkt die Arme auf der Brust.
»Es ist Freitag, halb sieben und ich bin immer noch bei der Arbeit: Das ist nicht wirklich toll.«
Er dreht sich um, nimmt seinen Kalender vom Schreibtisch, legt ihn wieder hin.
»Also«, sagt er, »was verschafft mir die Ehre?«
Er sieht mich nicht an. »Wenn du jemanden umgebracht hast, musst du zu Sabatino gehen, den Flur runter.«
Ich ziehe Mattias Akte aus der Tasche und gebe sie ihm.
»Ich brauche deine Hilfe. Es ist wichtig.«
Savarese nimmt die Akte, sein Gesichtsausdruck verändert sich.
»Einer meiner Schüler kommt aus schwierigen Verhältnissen. Es besteht die Gefahr, dass er seiner Familie weggenommen wird. Kann man da was machen?«
Er blättert schweigend die Akte durch.
»Die Großeltern schaffen es nicht, sich richtig um ihn zu kümmern. Erzieher wären nötig, ein Pfleger.«
Savarese gibt mir die Akte zurück.
»Die hier kenne ich. Das ist eine sehr gute Wohngemeinschaft.«
»Ja, für Behinderte.«
»Der Junge ist doch behindert?«
»Ja«, antworte ich
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