Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
zögerlich. »Er ist ein schwieriger Fall.«
Er ist kompliziert, aber außer Mattia und mir weiß das niemand. In dieser Akte fehlen zu viele Dinge, deshalb ist sie so dünn.
»Er ist weder Fleisch noch Fisch«, füge ich hinzu. »Er wird sowohl bei den ›Normalen‹ als auch bei den Behinderten immer ein Außenseiter sein. Er wird immer alleine sein.«
Savarese legt mir eine Hand auf die Schulter.
»Er wird eine Gleichgesinnte heiraten. Oder so eine Verzweifelte. Eine Verzweifelte finden wir immer.«
Er versucht, mir ein Lächeln zu entlocken. Es gelingt ihm.
»Du bist ekelhaft.«
Aber es ist trotzdem in Ordnung.
Ich stecke die Akte wieder in meine Tasche. Wenn ich jetzt nicht sofort gehe, wird Savarese denken, dass da noch etwas ist.
»Noch was?«
»Nein«, sage ich abschließend. »Danke.«
Er schaut nach der Uhrzeit auf dem Zifferblatt, das an der Wand hängt.
»Ich bringe dich nach Hause.«
»Mach dir keine Mühe.«
»Nein, ich nehme dich mit«, beharrt er, holt die Autoschlüssel aus der Jackentasche. »Ich fahre sowieso bei dir vorbei.«
Kaum sind wir eingestiegen, schaltet er das Radio ein, drosselt aber die Lautstärke. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, doch er schweigt und ich ebenso. Auf dem Rücksitz liegt ein Koffer.
»Wo fährst du hin?«
Er überlegt kurz, bevor er antwortet. »Margherita hat mich gebeten, sie nach Pavia zu begleiten.«
»Ein kleiner Urlaub also.« Es ist stärker als ich.
»Eine Rechtsberatung«, entgegnet Savarese. Ich rechne nicht damit, dass er weiterredet, doch er tut es.
»Ihre Großeltern haben ihr ein Haus vererbt, das alte Landgut, in dem ihre Mutter aufgewachsen ist. Eine Bruchbude, wenn man dem Vater glaubt.«
Das Fotoalbum kommt mir in den Sinn. Das Begräbnis. Der Bart ist mit der Zeit verschwunden, zum Schnäuzer geworden. Die Frau auf dem Foto ist durch eine andere ersetzt worden, ebenso das Kind.
»Jetzt hat er einen Stiefsohn. Eine Art Musiker-Schrägstrich-Masseur-Schrägstrich-Yogameister. So wie ich es verstanden habe, käme dem die Bruchbude gelegen. Er sagt, dass er dort ein Zentrum für irgendwas einrichten möchte.« Savarese fährt langsamer, sucht einen Parkplatz. »Daher das rührende Familientreffen.«
Margheritas Vater hatte darauf bestanden, mir den Kaffee zu bezahlen. Wie es seiner Tochter geht, hatte er mich nicht gefragt.
»Deshalb hat sie ihn also nicht sehen wollen?«
»Sie wollte ihn nicht sehen, weil er sie mit vierzehn Jahren aus dem Haus gejagt hat. Und jetzt, sieh mal einer an, hat er sich plötzlich an sie erinnert.«
»Ist sie wütend auf mich?«
»Ich weiß es nicht.« Er sieht mich zum ersten Mal an, seit wir im Auto sitzen. »Vielleicht hattest du Recht, und das ist jetzt immerhin eine Möglichkeit, sie zu einer Rückkehr nach Hause zu bewegen«, fährt er fort. Dann lächelt er: Da ist er ja, versteckt zwischen zwei Bäumen: sein Parkplatz.
Heute zeichnet man uns für den Minotaurus aus. Dabei ist der Leguan tausendmal besser, denke ich.
Margherita ist nicht da und geht nicht an ihr Handy.
Die kurze Notiz auf dem Zettelchen, das sie an die Kühlschranktür geklebt hat, ist hastig hingekritzelt.
Bin weg, komme Montag zurück.
Ich hätte sie anrufen sollen, um mich zu entschuldigen, oder sie hätte es tun sollen.
»Besser du«, ruft sie mir vom Rand der Badewanne auszu. »Wenn ich zurück bin, dann versuch zu sagen, dass du es hättest tun sollen. Das wird mir gefallen, und ich werde dir leichter verzeihen.«
Ok, entschuldige, aber ich konnte es ja nicht wissen. Ich kenne deinen Vater doch nicht.
»Nein, nein, nein«, Margherita hebt die Hand. »So weit sind wir noch nicht. Fang an mit: ›Ich habe mich geirrt.‹ Das funktioniert immer.«
Ok.
»Und trag weniger Kajal auf. Es ist warm, in ein paar Stunden läuft dir alles runter.«
Ich tue, was sie sagt, dann räume ich meine wenigen Schminksachen weg.
»Was ist los? Warum machst du so ein Gesicht?«
Ich gehe in mein Zimmer, hole Jacke und Tasche.
»Ich verstehe: Du hättest mich nach Pavia begleiten wollen.« Margherita bricht in Lachen aus. »Es ist wegen Savarese. Du bist eifersüchtig.«
»Red bloß keinen Scheiß!«, verkünde ich mit lauter Stimme. Dumme Kuh.
»Na schön, in Ordnung, ich mache es gleich wieder gut: Möchtest du mich an diesem Wochenende zu meinen Vater nach Pavia begleiten?«
Danke, ich kann nicht.
»Wollen wir also über den Kuss sprechen, den ihr euch hinter meinem Rücken gegeben habt?«
Ich bin schon die
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