Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
wüssten, was ein Schneetreiben ist, wenn wir es nicht gelernt hätten, als wir Kinder waren, wir es uns nur so vorstellen könnten: als törichte Geste eines Gottes, den wir nie gesehen haben.
18
Heute Morgen scheint die Sonne. Ein völlig unerwartetes, geradezu unnatürliches Ereignis.
Den ganzen Winter über wütete die Kälte, als sei das ihr gutes Recht. Sie nahm sich alles heraus: Sie drang in die Mauern der Häuser ein, ließ sie verrotten. Sie griff die Menschen an, die sich in ihren Mänteln, Wohnungen und Städten einigelten, die Türen verrammelten, jede Zugluft für gefährlich hielten.
Der Regen prasselte auf die Dächer nieder, auf Schlafzimmer, Moscheen, Jugendzentren, Roma-Lager. Man gewöhnte sich an ihn. Mit Blitz und Donner kam man zurecht, wenn man einmal gelernt hatte, um Blitzableiter einen großen Bogen zu machen.
Der Hagel zerstörte Dachrinnen, Windschutzscheiben, Baugerüste, Beratungsstellen und Anlagen des Örtlichen Gesundheitsamtes.
Durch den Wind kam es zu Ausfällen bei Fernsehsendungen: Was ausgestrahlt werden sollte, ging verloren, geblieben ist die Werbung.
Der Schnee blockierte den Zugang zu Fabriken, Universitäten, Kliniken, weshalb Produktionsstätten und Krankenhäuser geschlossen oder anderswohin verlegt wurden. Nach Polen, Rumänien, in die Ukraine, in Länder, wo der Schnee leichter schmilzt. Die Universitäten verwandelten sich in Turnhallen, Werkstätten, Parkplätze.
In ganz Italien breitete sich Glatteis aus: eine dünne,undurchdringliche, kompakte Schicht, die Neapel und das Umland, Aquila, Cologno Monzese und Rom überzog. Im Süden begann zu erfrieren, was angebaut worden war. Der Rest konnte nicht wachsen.
Viele nahmen Reißaus, wie Mäuse, die ein sinkendes Schiff verlassen. Die Kälte jedoch trieb sie in ihre Höhlen zurück, andernfalls wären sie getötet worden. Ein Teil der Überlebenden sah ein, dass es genügte, sich anzupassen, dem Winter zu entsprechen, ihn wenn nötig zu verlängern: Sie würden es schon schaffen wie früher oder besser noch. Deshalb traue ich der Sache nicht.
Diese Maisonne, die sich am Himmel breitmacht, dieses Zeichen von Mut, ist zu schwach, um sich gegen die Kälte durchzusetzen. Sie kann einen Platz am Himmel einnehmen, Widerstand leisten, indem sie ihre Strahlen in alle Winkel der Piazza schickt, aber dem Winter wird sie kein Ende bereiten: Sie ist nicht stark genug.
»Herein.«
Ich hasse Türen, bei denen ich anklopfen muss.
»Kommen Sie ruhig herein.«
Das Büro der Schulleiterin ist die Höhle eines alten Raubtiers, das heute immer noch Schaden anrichten kann – und schlimmer noch als früher, als Unerfahrenheit und mangelnder Einfluss uns bremsten.
»Entschuldigen Sie, wir bereiten gerade das nächste Schuljahr vor, und die Reform fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen nicht viel Zeit widmen.«
Mattias Ordner wird aus einem Aktenstoß auf dem Schreibtisch gezogen. Er wandert aus ihren Händen in meine.
»Sie können sich jedoch mit jedem Problem auch an die Belcari wenden.«
»Sie ist immer noch krankgeschrieben«, sage ich und streue damit ein Sandkorn ins Getriebe, das sich auf eine Lösung zubewegt, die aufgrund der Art, wie die Räder ineinandergreifen, schon seit dem Tag feststeht, an dem Mattia geboren wurde.
»Dann kümmern Sie sich eben darum«, sagt die Schulleiterin und setzt ihre Brille auf. »Sie sind ja schließlich seine Lehrerin, oder nicht?«
Wie sonst Santojanni gehe jetzt ich in Klassenzimmer 9 auf und ab. Nervös.
Mattia sitzt am Computer und kümmert sich nicht um mich. Er hat die Erlaubnis erhalten, seinen Aufsatz darauf zu schreiben und ihn gedruckt abzugeben wie eine Hausarbeit an der Uni.
»Es ist besser so«, sagt er. »So kannst du es wenigstens lesen.«
Ich lehne mich ans Fensterbrett, lasse mir Zeit.
»Deine Schrift kann ich auch lesen. Ich kenne sie nun schon seit Schuljahresbeginn.«
Er zuckt mit den Schultern.
Alles hängt miteinander zusammen, Mattia: die schiefe Schrift, die Hand, das Gehirn, das sie steuert.
Auf dem Tisch liegt der Sozialhilfeantrag, der ausgefüllt werden will. Soll er warten.
»Bist du müde? Du siehst müde aus.«
Ich reibe mir die Augen, um zu sehen, ob sich die Müdigkeit vertreiben lässt. Dabei bin ich geschminkt. Egal.
»Setz dich hierher«, sagt er. »Ich bin fertig.« Er steht auf, holt einen Stuhl, stellt ihn neben seinen.
DIESJAR WAHR SER SCHÖÖN . MIR GEFELLT DIE SCHUHLE ODER FREUNDE WIE PETTAR UND ICH LERNE DIE
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