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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giusi Marchetta
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lächelt über mich.
    »Nein, die sind im Lohn inbegriffen. Gewissermaßen eine Möglichkeit, ihn die Sozialbeiträge zahlen zu lassen.«
    Ich beneide sie: So lebt man, denke ich, wenn man auf alles pfeift. Ich beobachte sie, wie sie ihren Plastikbecher leert, Savarese mit irgendetwas provoziert, sich im Gras ausstreckt, als könne ihr die Welt nichts anhaben: Hier oder in einer anderen Stadt wäre sie zu allem bereit, würde mit wem auch immer zusammenleben, würde niemanden vermissen. Sie würde immer unversehrt davonkommen. Unbeschwert.
    »Ist dein Vater wieder weg?«
    Sie schneidet eine Grimasse.
    »Ich habe keine Ahnung. Holen wir uns noch was? Das da war ja zur Hälfte Wasser.«
    »Du hättest zumindest mit ihm reden können: Deswegen ist er doch gekommen.«
    Margherita lächelt, ist jetzt aber ernst. Sie sieht mich nicht an.
    »Es war schließlich keine Weltreise. Außerdem ist das seine Sache.«
    In Wirklichkeit gilt die Botschaft mir: Es ist meine Sache, will sie damit sagen. Hör endlich auf, dich einzumischen.
 
    Vor achtundzwanzig Jahren nimmt mich mein Vater zum ersten Mal in den Arm. Er beginnt mit meiner Erziehung. Halt deine Versprechen, mach keinen Lärm, beklag dich nicht, arbeite, sag die Wahrheit, strebe nach Vertrauen, Beständigkeit, Fleiß, gib zurück, was man dir gibt, mit Ausnahme des Bösen, das erduldet man.
    »Im Grunde wollte er nur mit dir sprechen: Du hast ihm nicht einmal die Möglichkeit dazu gegeben, nach so vielen Jahren, in denen er sich darum bemühte. Er wird traurig sein. Voller Reue.«
    Margherita erhebt sich aus dem Gras. Savarese ist bereits aufgestanden und sieht uns wortlos an.
    »Er hat eine neue Familie.«
    »Ja, ok, er hat praktisch fünf Minuten nach dem Tod deiner Mutter wieder geheiratet. Na und? Ist das so unverzeihlich? Ich verstehe dich nicht: Wir bauen doch alle Mist.«
    Jetzt stehe ich auch auf. Es gibt nichts Schlimmeres, als von oben herab beäugt zu werden.
    »Es sind doch schon so viele Jahre vergangen. Er ist alt geworden, möglicherweise krank. Wie machst du es bloß, keine Schuldgefühle zu haben?«
    Savarese versucht, sich einzumischen, aber ich höre nicht auf ihn. Ich denke nur an Gianni.
    Gianni. Was habe ich dir denn bloß getan?
    Margherita hält ihren Blick auf die jungen Leute gerichtet, die in Grüppchen die Wiese bevölkern. Der Plastikbecher fällt zu Boden, rollt ins Gras.
    »Und da ist nichts Schlimmes dabei, richtig? Wir bauen alle Mist und allen soll verziehen werden.«
    Ja, denke ich. So ist es. Das gehört zur Leidensgeschichte der Menschen: Schon von Geburt an sind wir bemitleidenswert.
    »Du hättest ihn zumindest fragen können, was er will. Das meine ich jetzt ernst.«
    Margherita seufzt.
    »Ich weiß ja, was er will«, sagt sie, hebt ihren Becher auf und geht über die Wiese. Ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Na schön, dann mache ich mich auch auf den Heimweg. Zu Fuß, allein. Savarese protestiert nicht und macht keine blöden Witze, lässt uns einfach gehen.
    Nach wenigen Minuten erreiche ich die Kreuzung der Straßen, die um den Bahnhof herumführen: Alle verlaufen parallel oder rechtwinklig zueinander, es gibt keine Möglichkeit, die Strecke abzukürzen.
    Macht nichts. Langsam komme ich voran.
    Das Naturhistorische Museum.
    Das Jazz-Lokal.
    Palazzo Carignano.
    Das Handy klingelt eine Weile, leistet mir Gesellschaft. Es ist so hartnäckig, dass ich es aus der Tasche nehme und mich, ohne stehen zu bleiben, melde.
    Savarese hat Recht: Diese hohen Schuhe sind typisch Frau.
    Piazza Castello. Palazzo Madama.
    »Nein, stör mich jetzt nicht, Gianni.«
 
    Wenn ich etwas beherrsche, ist es, frühmorgens das Haus zu verlassen, ohne meine Mitbewohnerin zu stören, die erst um vier Uhr nach Hause gekommen ist und sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert hat. Ebenso mühelos vergesse ich, dass heute in den Schulen die Woche der offenen Tür beginnt, was mir erst wieder einfällt, als ich von den Schülermassen geschluckt werde, die zur Eröffnung in den Hof strömen.
    Einen Moment lang habe ich das Gefühl, an einer Feuerwehrübung teilzunehmen. Mühsam befreie ich mich aus der Menge, von der ohrenbetäubenden Musik, vom Kreischen des Megafons, das der Schulleiter wie eine Geisel in den Händen hält.
    Das Schulgebäude ist menschenleer oder scheint zumindest so.
    Als ich in Klassenzimmer 9 trete, höre ich über mir Schritte. Sie bewegen sich von einer Wand zur anderen und halten nicht an: Vielleicht hat Santojanni Heimweh bekommen nach

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