Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
ich fasse mich sofort wieder: Das kann nur er sein.
»Hey.«
In Unterhosen steht er dicht vor mir, und ich finde, dass er Recht hatte: Er ist wirklich unverschämt.
»Du hast mir noch nicht gesagt«, flüstert er, »was das für ein furchterregendes Reptil ist?«
Wieder sehe ich Riccardis Gesicht vor mir, wie er das Draht-Monster aus dem Schrank holt und in den Armen wiegt. Ganz verzückt stellt er es auf den Tisch, streichelt das nur ansatzweise zu erkennende Maul in diesem dreieckigen Kopf, der eine Anomalie zu sein scheint, wie auch der Schwanz, der degenerierte Fortsatz eines krummen Körpers, in den mit Gewalt vier knorrige Pranken gesteckt wurden. Ohne das Foto von National Geographic wäre ich nie darauf gekommen.
»Es ist ein Leguan«, sage ich.
Savarese schneidet eine Grimasse und geht in den Flur zurück.
»Na, dann kannst du ja ruhig schlafen.«
Ich schließe die Tür hinter ihm und schlüpfe ins Bett, suche nach einer Ruhepause zwischen diesem Tag und all den anderen, die noch bleiben.
8
Während ich mich allmählich der angegebenen Adresse näherte, tauchten auf der Straße die Lehrer auf. Mit Umhängetaschen, zu wuchtigen Brillen und den Händen in den Hosentaschen, trieben sie sich in der Nähe der Schule herum, wo man sie zur Stellenvergabe einbestellt hatte. Sofern sie einen Kaffee trinken gegangen waren, kehrten sie jetzt paarweise zurück, ohne miteinander zu reden. Wenn sie fürchteten, zu spät zu kommen, beschleunigten sie den Schritt, das Handy am Ohr, um irgendwelchen Leuten zu sagen, dass sie nicht mehr anrufen sollten, dass sie ihnen Bescheid geben würden, sobald alles vorbei, das Spiel aus und so oder so gelaufen sei.
Auf dem Bürgersteig stand ein großer, kahlköpfiger Typ mit einem Stapel Flugblätter. Er drückte jedem Lehrer ein Exemplar in die Hand und deutete auf etwas Gedrucktes oben auf dem Blatt, eine Adresse, eine Telefonnummer. Nach und nach waren die Leute näher gekommen. Einige machten einen weiten Bogen um ihn. Wollten nichts hören.
Sie werden euch alle in die Aula setzen , hatte Anna gesagt. Dann wird die Kommission antreten und der Schulleiter einen nach dem anderen von der ständigen Rangliste aufrufen, gemäß der Punktezahl.
Zur festgesetzten Stunde stürmten wir wie eine lärmende Viehherde unter den gleichgültigen Blicken der Hausmeister in die Flure des Schulgebäudes. Auf der Schwellezur Aula wurden wir zu einem Schwarm, der sich mit gesträubtem Gefieder auf die freien Äste niederließ. Als der Schulleiter eintrat, ging das Geplapper in ein anhaltendes Gemurmel über, um dann zu verstummen.
Wir sahen ihm zu, wie er die Unterlagen in Ordnung brachte, mit den Mitarbeitern des Schulamts tuschelte, den Gewerkschaftsvertretern zuwinkte. Er richtete die Augen auf uns, und unsere Blicke umkreisten ihn wie ausgehungerte Wölfe.
Lass uns unterrichten, wir sind zu allem bereit. Wir werden uns jeglichen Vorschriften beugen. Wir werden Verträge akzeptieren, die uns benachteiligen, und wir werden keinen einzigen Tag streiken. Wenn es nötig ist, werden wir Grundsatzfragen in den Vordergrund schieben, um unser Unwissen zu verbergen. Sag uns nur, dass wir dieses Jahr arbeiten werden: Wir stehen zu Diensten.
Der Schulleiter vergewisserte sich, dass das Mikrofon funktionierte.
Dich natürlich nicht. Dich wird er nicht aufrufen: Zuerst muss er die Rangliste der in Turin eingeschriebenen Lehrer ausschöpfen. Erst sie und dann wir.
Als ich das Lehrerzimmer betrete, heben Nicolini und Miranda in der Ecke, in die sie sich verkrochen haben, kaum den Kopf. Loredana lächelt mir zu, macht mir ein Zeichen, zu ihr und den anderen Kollegen zu kommen.
»Neuigkeiten?«
Es scheint so. Offenbar steht für die 1A ein Besuch des Ägyptischen Museums auf dem Programm.
»Das geht natürlich nicht«, sagt Giglio. »Die Schulleiterin wird unsere besondere Situation berücksichtigen.«
Es sind nur noch zehn Tage bis Weihnachten. Acht Tage bis zu den Ferien. Bis zur Heimreise. Bis ich zu Hause bin.
»Dennoch finde ich es nicht gerecht«, entgegnet Loredana. »Da die anderen ersten Klassen hingehen, werden sich unsere Schüler benachteiligt fühlen.«
» Besondere erzieherische Notwendigkeiten «, zitiert Nicolini, gegen das Fenster gelehnt. »Es ist eine besondere Klasse: Hier gelten Sonderregelungen.«
»Trotzdem«, beginnt Loredana, verzichtet jedoch sofort auf weiteren Widerspruch. Es gibt kein trotzdem , kein aber , kein Wort, das in der Lage wäre, die Wirklichkeit
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