Der letzte Agent
dass ausgerechnet Sie ihn schützen würden?«
»Er war hilflos und hatte Todesangst. Zu Recht, oder?«
»Der Teetopf läuft über«, mahnte ich.
»Danke.« Sie drehte sich um und stellte das kochende Wasser ab. »Das ist alles total verrückt«, murmelte sie. Sie klapperte mit den Tassen und machte den Eindruck, als sei sie eigentlich nicht hier, sondern ganz weit fort in einer anderen Welt, in anderen Begebenheiten. Endlich setzte sie sich mir gegenüber. Sie musste einen langen Anlauf nehmen, um darüber zu sprechen.
»Also der Tote da oben im Wald ist mein Chef. Er ist Chemiker. Sein Name ist … war Dr. Jürgen Sahmer. Er ist achtunddreißig Jahre alt.«
»Wie kommen Sie auf die Idee, dass er ausgerechnet auf dem Weg zu Ihnen war? Oder hatten Sie etwas miteinander?«
Sie lächelte flüchtig. »Nein, wir hatten nichts miteinander. Aber er war einer der ganz wenigen, die gewusst haben, wo meine Wochenendbleibe ist.«
»Woher wissen Sie denn, dass er es ist?«
»Ich habe ihn mir angeschaut«, sagte sie einfach und war dabei ganz weiß im Gesicht. »Es war heute morgen, als die Leute sagten, der Revierförster habe oben eine Leiche gefunden. Und da sind alle raufgerannt in den Wald. Ich natürlich mit.«
»Und dann?«
»Nichts. Ich habe ihn erkannt, ich habe nichts gesagt, ich habe mich hierher geflüchtet. Und seitdem denke ich darüber nach, was da passiert sein könnte. Ich fasse es nicht, ich fasse es wirklich nicht.« Sie fing an zu weinen, aber ihre Augen waren groß und rund in all dem Kummer.
»Was ist mit dem Toten in dem Windbruch? Wieso sind Sie dort aufgetaucht?«
»Ich habe wirklich gedacht, der sei der Freund einer Bekannten. Aber er scheint es nicht zu sein. Die Bekannte hat jedenfalls auf meine Frage gelacht und geantwortet, er lebe noch, und soweit sie wisse, gehe es ihm gut.«
»Haben Sie über das grässliche Plastikzeug nachgedacht?«
»Ja, natürlich. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«
»Wollen Sie nicht von Beginn an erzählen?«
»Was meinen Sie damit?«
»Nun ja, erst ein Unbekannter, dann Ihr Chef, alles vor der Haustür und jedesmal mit der Plastikmasse. Sie sollten mir also sagen, wo Sie arbeiten, was Sie arbeiten, woher Ihr Chef kam, und so weiter.«
»Ach so, ja natürlich.« Sie stand auf, setzte sich wieder und zog die Beine unter den Körper. Sie schauderte zusammen, weil sie fror.
»Wir, also der Betrieb, in dem ich arbeite, sind ein Ableger von einem Chemiekonzern, Leverkusen und so. Wir sind eine kleine, feine Firma in Nord-Düsseldorf zwischen dem Rhein und dem Lohhausener Flughafen. Wir machen Verpackungen, Verpackungen für Pralinen, Parfüms und Uhren und so ein Zeug. Sahmer war unser aller Chef. Dann gibt es da noch eine Physikerin, Dr. Vera Grenzow. Sie ist vierzig Jahre alt. Dann gibt es außer Sahmer noch einen Papierspezialisten. Das ist der Günther Schulze. Der ist sechsundzwanzig Jahre alt, glaube ich. Wir sind eine richtig gute Truppe, wir arbeiten seit acht Jahren im Team, und das Geschäft wächst und wächst und wächst.«
»Moment mal, was für eine Sorte Verpackungen machen Sie denn?«
»Edle Verpackungen. Wir kriegen die Aufträge von Firmen, die irgendwelche neuen Produkte auf den Markt bringen. Und wir denken uns dann eine möglichst elegante Verpackung aus, so mit allem Drum und Dran. Kennen Sie diese raffiniert geformten neuen Parfümflaschen zum Beispiel? Wir formen auch die Glasflaschen, dann formen wir aus Pappe und Papier und anderen Stoffen die Verpackungen für diese Flaschen. In einem Luxusland ist das ein phantastisches Geschäft.«
»Gut. Das habe ich jetzt verstanden. Wie fing denn alles, was Sie sich nicht erklären können, an?«
»Es fing damit an, dass der Papier- und Druckspezialist, der Günther Schulze, plötzlich verschwand. Er tauchte weder zu Hause noch irgendwo auf. Das war vor sieben Tagen. Seine Frau weiß nichts von ihm und hat keine Ahnung, wo er abgeblieben sein kann. Er hat den Betrieb abends gegen siebzehn Uhr verlassen und ist zu Hause nicht angekommen. Wir erstatteten von der Firma aus eine Vermisstenanzeige bei der Düsseldorfer Kripo. Bis heute haben die keine Spur von ihm, ich telefoniere jeden Tag mit dem Büro. Dann, vor einer Woche, ging ich hierher, um ein bisschen abzuschalten. Wir hatten viel gearbeitet. Dann las ich in der Tageszeitung von dem Toten im Wald von Hillesheim. Ich hätte schwören können, dass ich den Mann kannte. Jedenfalls fuhr ich also in den Windbruch. Wenn ich ganz
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