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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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nur einen Schlüssel: diese Plastikmasse. Vielleicht läuft irgendein Verrückter herum?«
    »Anni, denk an das Bundeskriminalamt. Die sind drin. Und weshalb sind sie drin? Und wieso der Hinweis auf die DDR, die ehemalige DDR?«
    »Die beliebteste Spielwiese des Bundesnachrichtendienstes war die DDR, das feindliche deutsche Ausland, solange es existierte. Vielleicht wollen die etwas reparieren.« Dann verzog sie den Mund. »Junge, geh raus aus der Sache, das ist nicht gut.«
    Von oben kam das Plätschern der Dusche.
    Anni sagte: »Du glaubst doch nicht, dass die da oben so unschuldig ist, wie sie tut?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Aber hier im Haus muss sie Auskunft geben, hier kann sie nicht weglaufen, nicht wahr?«
    Anni strahlte plötzlich und meinte: »Du Sauhund, min Jung!« Dann setzte sie hastig hinzu: »Ich mache uns einen Kaffee. Ich habe übrigens nachgedacht über das, was du von deinem Vater gesagt hast. Wieso glaubst du, dass er ein Feigling war?«
    »Weil er sich immer weigerte, mit mir zu streiten. Er weigerte sich überhaupt, mit irgendeinem Menschen Streit zu haben. Irgendwann hat er sogar versucht, die Tötung von sechs Millionen Menschen mit fehlgeleiteten Hassgefühlen zu entschuldigen.«
    »Das ist nicht wahr.«
    »Das ist wahr. Jetzt mach uns den Kaffee und lass uns darüber schweigen.«
    Ich ging hinaus, um das Haus herum in den Garten. Was hatte ich schon? Einen unbekannten Toten, einen sehr wohl bekannten Toten, dessen lebende Sekretärin und einen vagen Hinweis auf die ehemalige DDR. Dann noch einen verschwundenen Druck- und Papierspezialisten. Wahrscheinlich hatte ich es tatsächlich mit dem BND zu tun, der niemals irgendwelche Auskünfte gibt. Dann gab es diese Plastikmasse, angeblich Geschosse, die sich nach Aufprall und im Zusammenspiel mit Sauerstoff grauenhaft aufblähten. Das konnte der Grund sein, weshalb der BND im Spiel war. Was hatte ich also? Nicht viel, entschieden zu wenig, um irgendeinen Plan zu fassen. Ich hatte nur Clara Gütt, und ich war sicher, dass sie mir nicht die ganze Wahrheit sagte.
    Hinter meiner Natursteinmauer her kam der Ruf einer Glockenunke. Irgendwer hatte gesagt, das bringe dem Haus Glück. Wahrscheinlich brauchte ich mehr als eine Glockenunke, wahrscheinlich brauchte ich eine ganze Unkeninvasion. Ich musste die Polizei anrufen, ich musste sagen, wer der zweite Tote war. Warum hatte ich das nicht längst getan? Krümel fegte wie ein grauweißer Strich durch das Gras und sprang an den Stamm des Pflaumenbaumes. Sie war schnell in den obersten Ästen und blickte leicht wippend über das Dorf. Hätte sie einen Spiegel gehabt, hätte sie vermutlich gemauzt: »Bin ich nicht toll?«
    Ich wusste plötzlich, weshalb ich die Polizei noch nicht angerufen hatte: Ich war misstrauisch, ich glaubte nicht einmal sicher, dass der zweite Tote der Chef der Clara Gütt war. Der Fall schien klebrig wie eine fleischfressende Pflanze.
    Anni öffnete das Fenster und rief: »Es gibt Kaffee.« Der alte Opa Gertmann kam um die Ecke geschlurft. Er hatte wie üblich einen kalten Zigarillo im Mundwinkel und schnaufte vor Atemnot. »Junge«, sagte er, »das ist aber ein Wetterchen. Oben am Sportplatz fängt der Raps schon an zu blühen. Na und du kümmerst dich um die Leiche aus dem Windbruch?«
    »So gut ich kann«, meinte ich. »Wir wissen ja noch nicht mal, wer es ist.«
    »Tja«, lamentierte er empört, »also da kannst du mal sehen, wie die Welt ist. Da liegt einer tot rum, und wir wissen nicht mal, wer es ist.« Er war verwirrt und schlug mit der Spitze seines Spazierstocks gegen einen Rotsandsteinblock, mit dem ich ein kleines Blumenbeet eingefasst hatte. »Ich weiß nicht, aber früher wäre das nicht vorgekommen. Nee, ich bin froh, dass ich bald abdampfen kann. Ich komm nicht mehr mit.« Er war weit über achtzig Jahre alt, und jetzt gab ihm der Sommer wohl einen Lebensschub, es noch einmal anzugehen.
    »Wir haben einen zweiten Toten dieser Art in Ahrdorf«, sagte ich.
    »Auch in Plastik?«, fragte er verblüfft.
    »Auch in Plastik«, bestätigte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Wir hier in der Eifel kennen unsere Toten«, sagte er. »Wir kennen die genau. Wir haben ja mit denen gelebt. Und egal wie sie waren, sie haben einen Namen und werden ordentlich beerdigt. Das erinnert mich an die Geschichte, wie sie in Hillesheim den ollen Schnigger beerdigt haben, also den Schneider. Der hockte sein ganzes Leben lang auf dem Tisch und nähte. Natürlich ist er von dieser Arbeit krumm

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