Der letzte Agent
vierzehn Uhr sein. Hinter dem Haus lag Krümel, gestreckt auf ungefähr fünfundsiebzig Zentimeter Länge, auf einer kühlen Schieferplatte und gähnte unablässig. Dann schlug sie matt nach einem kleinen Fuchs, der bernsteinfarben vor ihrer Nase flatterte. Sie erwischte ihn nicht.
Anni hockte in einem Gartenstuhl an meiner Natursteinmauer und las in irgendeinem Buch.
»Wo ist eigentlich Clara?«
»Sie liegt auf deinem Bett und denkt darüber nach, wie ihr vergangenes Leben ausgesehen hat. Da sie nichts von allem gespürt hat, macht ihr das Kummer. Willst du sie sprechen?«
»Wir wissen nichts von diesem Bleibe«, meinte ich zerstreut. »Von diesem Kompagnon des Kanter aus Chemnitz.«
»Ich schicke dir Clara«, seufzte sie. Als sie an mir vorbeikam, fragte sie: »Blickst du noch durch?«
Ich schüttelte den Kopf und verzichtete auf eine Antwort. »Was ich über meinen Vater gesagt habe, war übrigens nicht so gemeint.«
»Ja, ja, ich weiß. Aber trotzdem könntest du Recht haben.« Sie verschwand um die Hausecke, und ich hockte mich unter den Haselbusch, um auf Clara zu warten. Als sie schließlich kam, sagte ich: »Setz dich und hör mir zu. Ich versuchte, Klarheit in meinem Gehirn zu bekommen. Dabei fiel mir ein, dass ich eigentlich nichts über diesen Doktor Bleibe weiß, diesen Kumpel von Dr. Kanter. Was kannst du mir denn über ihn berichten?«
Sie spielte mit einem trockenen Aststückchen herum. »Er heißt Dr. Werner Bleibe, ist Kaufmann und Chemiker. Ein beschissener Wissenschaftler, wie Kanter immer sagt, aber ein erstklassiger Manager. Er muss jetzt einundfünfzig Jahre alt sein. Er ist natürlich Mitglied der SED gewesen, weil du ohne die Partei wohl nicht mal husten durftest. Er ist Sachse und hat eine furchtbare Frau. So eine Wasserstoffblonde, weißt du? Sie hat eine hohe Stimme und kreischt immer, wenn sie lachen will. Der Mann leidet stark unter dieser Frau. Kinder haben sie, soweit ich weiß, keine. Nach der Wende haben die Leverkusener mit ihm kooperiert. Sie haben jede Menge Geld in den Chemnitzer Betrieb gesteckt, er gehört jetzt ihnen. Kanter führte natürlich die Verhandlungen. Kanter kennt Bleibe schon seit 1980, also mehr als zehn Jahre. Bleibe ist ein unheimlicher Raffer. Wir hatten einmal ein kaltes Buffet bei Kanter zu Hause. Morgens, als alle anderen schon längst besoffen waren und ich dabei war aufzuräumen, kommt doch dieser Bleibe und packt sich jede Menge Steaks in eine Plastiktüte. Er sieht mich, blinzelt mir zu und sagt: ›Es wäre ja schade, das alles den Schweinen vorzuwerfen!‹ So ist Bleibe.«
»Wie fing denn das alles an? Du musst doch damals Kanters Sekretärin gewesen sein.«
»Das war ich«, sagte sie. Sie zündete sich eine Zigarette an und sah dem träge aufsteigenden Rauch nach. »Normalerweise sind wir an diese ostdeutschen Manager nur im Rahmen von Kongressen herangekommen. Also, da treffen sich Chemiker in New York oder Tokio, und bei der Gelegenheit konntest du dann mal einen Kollegen aus der DDR kennen lernen. Ich weiß genau, dass Kanter zum ersten Mal in Stockholm auf Bleibe traf. Das muss wie gesagt so 1980 gewesen sein. Du musst wissen, dass die DDR-Leute in Plasten und Elasten Klasse waren. Von denen konnten wir viel lernen. Natürlich hat Kanter das gewusst und den Dr. Bleibe systematisch eingewickelt. Das war ja nicht schwer. Das fängt bei Naturalien an, wie immer.«
»Was sind denn Naturalien in diesem Fall?«
»Mädchen, Frauen, irgendetwas mit Pep, irgendetwas, wovon der Herr Generaldirektor schon immer geträumt hat.«
»Hat denn Kanter etwas von Bleibe gekauft?«
»O ja, die hatten in der DDR durchaus Dinge, die wir von ihnen haben wollten. Bestimmte Plastikmischungen, bestimmte elastische Stoffe und so weiter.«
»Es wurde also eine richtige Männerfreundschaft?«
»Die haben sich sicher sechs- bis achtmal pro Jahr irgendwo getroffen. Manchmal in Leverkusen, aber meistens im Ausland. Kanter war Bleibes Wessi-Schatz. Ich habe all die Sachen ausgesucht, mit denen Bleibe seine Frau beruhigte. Einmal war ich mit Kanter in Chemnitz. Das ganze Haus vom Bleibe war voll mit dem Scheiß, den ich für ihn immer besorgen musste: Fernseher, Waschmaschinen, Videogeräte, Möbel. Der Witz war, dass mir diese superblonde Osttussi das alles vorführte, um damit anzugeben, dass sie alles hatten. Die wusste nicht, dass ich das alles bestellt und ihr ins Haus geschickt hatte.«
»Moment, Moment, das war doch sicher nicht einfach. Wie kamen diese
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