Der letzte Agent
sogar für Kanter gearbeitet. Vorher für die Stasi. Aber alles legal.« Er lachte.
»Das reicht mir. Ich melde mich.«
»Hoffentlich«, murmelte er, »hoffentlich.«
Ich stellte mir vor, wie es ablaufen könnte: Da kommt Sauter aus Rheinbach, setzt sich in ein Taxi und lässt sich nach Leverkusen fahren. Unterwegs wird er halten, an irgendeinen Geldautomaten gehen. Dann weiterfahren zu seiner Wohnung. Das Taxi warten lassen? Wahrscheinlich nicht. Er wird in seiner Wohnung verschwinden. Um zu telefonieren? Um ein paar Socken, Unterhosen und Hemden einzupacken? Wahrscheinlich.
Ich würde in meinem Wagen warten. Mit mir sicherlich zwei oder drei Wagen des Bundeskriminalamtes, wahrscheinlich auch zwei oder drei Wagen mit Fahndern des Bundesnachrichtendienstes. Zu allem Überfluss wahrscheinlich irgendwelche Leute vom Verfassungsschutz, die sich spätestens jetzt in die Geschichte einklinken. Also eine Karawane von sechs bis acht Fahrzeugen, auf Sven Sauters Spur. Das war nicht mein Weg.
Ich hatte nur den Namen Marga. Es blieb mir nichts anderes übrig, als hundert Prozent auf diese unbekannte Marga zu setzen.
Anni kam herein. »Lass uns essen. Wann musst du weg?«
»Ich fahre bald. Ich muss mich einrichten.«
»Was meinst du damit?«
»Ich muss mich dort, wo ich Sven Sauter zu finden hoffe, erst mal umsehen.«
»Clara! Komm essen, Kind. Du fällst mir sonst vom Fleisch.«
»Ich habe keinen Hunger«, kam es von oben.
»Du kommst jetzt essen. Keine Widerrede!«
Wir aßen schweigend, weil Clara feindselig war, weil Anni sich nichts draus machte, und weil ich überlegte, wie viel Zeit ich brauchen würde, das Gelände zu erkunden.
»Ist der neue Wagen da?«
Anni nickte. »Er steht in der Garage. Der Mann, der ihn abgeliefert hat, sagte, er sei voll getankt. Und du sollst irgendwie, na ja, du sollst die ersten tausend Kilometer nicht gar so schnell fahren, oder irgendetwas in der Art. Der Wagen ist rot.«
»Sagtest du rot?« fragte ich ungläubig. »Ich will keinen roten! Ich will einen smaragdgrünen!«
»Aber der Verkäufer sagt, er hat keinen.«
»Na, macht auch nichts.«
Clara brach ihr Schweigen. »Wohin geht denn die Reise?«
»Wenn ich Glück habe, treffe ich Sauter.«
»Wieso? Weiß er nicht, dass du kommst?«
»Nun frag doch nicht immer, Mädchen«, mahnte Anni. »Halt dich besser raus.«
»Ich gehe morgen nach Düsseldorf«, sagte Clara trotzig.
»Dann tu das«, meinte Anni unnatürlich sanft. Sie hatten sich nicht gerade zum Fressen gern.
Die Sonne war ein großer roter Ball, und über den Hügeln oben am Sportplatz jubelten noch die Lerchen. Ich dachte daran, dass es gut sein würde, Margas ›Waldeslust‹ bei vollem Betrieb zu erleben. Also flüsterte ich Anni zu: »Ich haue ab«, und verzog mich, nachdem ich zwei Wolldecken in den neuen Wagen geworfen hatte.
Ich fuhr über Ahütte und Adenau in das Ahrtal hinein und ließ mich langsam talwärts treiben, bis ich hinter Altenahr quer über die Kalenborner Höhe auf Bonn zufahren konnte. Es war ein wunderbarer warmer Abend, und vor den meisten Kneipen hockten die Menschen auf der Straße und tranken friedlich ihr Bier.
Südlich von Troisdorf nahm ich die 56 und fuhr über Neunkirchen und Seeischeid nach Much und zur Drabender Höhe. Dann ging es scharf rechts nach Marienberghausen und Hefterath. Dann ein Schild: ›Waldeslust‹. Darunter stand ›Kneipe und Restaurant‹. Mir waren die letzten zehn Kilometer nicht mehr viele Autos begegnet. Umso erstaunter war ich, als ich sah, dass der sehr große Parkplatz vor dem Haus absolut voll war. Ich zählte die Wagen. Es waren sechsundfünfzig, die weitaus meisten mit Bonner und Siegburger Kennzeichen. Es war ein altes Haus, und vermutlich hatten einmal Waldbauern darin gewohnt. Möglicherweise war es auch ein Forsthaus gewesen, über dem Eingang hing jedenfalls das obligate Hirschgeweih. Mit viel Sinn für das Althergebrachte hatte man das Haus renoviert und dabei nicht allzusehr verschandelt. Rechts neben dem Eingang war der Kasten mit der Speisekarte. Bei Marga kostete das Wiener Schnitzel mit Pommes frites nicht mehr als vierzehn Mark, aber wer isst schon Wiener Schnitzel? Auf dem Fuß der Speisekarte stand in winzigen Buchstaben: ›Inhaber: Marga Heimeran‹.
Also auf in den Kampf.
Die Kneipe war groß, die Beleuchtung kam aus sehr intim wirkenden, bis fast auf die Tische heruntergezogenen flachen Keramiklampen. Der Laden dieser Marga war randvoll, und das Gewirr der Stimmen wirkte
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