Der letzte Agent
Backenmuskeln waren weiß und verkrampft.
»Ich kann ungefähr sagen, was dann passieren wird, Müller versucht lediglich, Sie zu schützen. Für ihn sind Sie aber vor allem ein Köder. Was der BND unternehmen wird, wissen wir noch nicht. Aber wir wissen eines: Sie können möglicherweise heil aus diesem Haus herauskommen. Aber nur, um sich woanders schleunigst zu verkriechen. Das hat etwas damit zu tun, dass Sie selbst nicht genau wissen können, wie Ihre Mörder aussehen, nicht wahr?«
»Das ist alles so unwirklich«, murmelte er.
»Stoßseufzer nutzen nichts«, sagte ich schnell.
»Das sind alte Stasi-Seilschaften«, sagte er.
»Da bin ich gar nicht so sicher«, widersprach ich. »Es wimmelt auch von Demokraten, die Sie abschießen wollen.«
Er lächelte schmal. »Gut ausgedrückt. Mir geht es beschissen, ich bin ausgepowert.«
»Marga, machen Sie ihm einen leichten schwarzen Tee. Lassen Sie den zehn Minuten ziehen. Ist es nicht besser, Sie legen sich auf das Bett?«
Er nickte langsam, stand auf, ging zu dem Bett, legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Er schloss die Augen. »Haben Sie so etwas wie ein Tonbandgerät?«
»Mag ich nicht, ich frage, wenn etwas unklar ist.«
Jetzt ging Marga hinaus, sie rief nach irgendjemandem, dann wurde geflüstert, und sie kam wieder herein und setzte sich. Sie wirkte plötzlich sehr weich. Sie erklärte: »Wenn es dir peinlich ist, dass ich hier bin, musst du es nur sagen.«
»Nein«, sagte er erschöpft. »Bleib nur. Du hast ja ein Recht. Mit was fangen wir eigentlich an?«
»Mit diesen schrecklichen Morden«, sagte ich. »Wieso traf es Volker? Warum war er überhaupt in der Eifel?«
»Dieser kleine Ring arbeitete sehr effizient«, meinte er. »Und plötzlich fiel die Mauer, die Wiedervereinigung war da. Ich hatte erwartet, dass Grenzow, Sahmer und Schulze einfach ihren Tagesjob weitermachen würden, ohne weiterhin wichtige Wirtschaftsdaten zu sammeln. Aber sie sammelten weiter, als sei nichts geschehen. Anfänglich war nicht zu erkennen, warum das so war, aber dann stellte sich heraus, dass eine bestimmte japanische Gruppe sie komplett übernehmen wollte. Gegen ganz erhebliche Honorare. Volker muss davon Wind bekommen haben. Er fing an, wie ein Verrückter mit der Grenzow, Sahmer und Schulze zu telefonieren. Er sagte dauernd: ›Hört auf! Hört endlich auf!‹«
»Moment, woher wissen Sie das eigentlich?«
»Aus Mitschnitten der Telefonate«, seufzte er gegen die Zimmerdecke. »Volker hatte einfach Angst, dass seine Vergangenheit als Steuermann in der Spionage dazu führen würde, ihn fristlos zu feuern. Er hörte nicht auf, die Gruppe anzurufen, sogar privat, zu Hause. Da fassten sie den Plan, Volker in die Eifel zu locken.«
»Moment, wer fasste den Plan?«
»Vera, sie war am geldgierigsten. Sie sagte: ›Wir müssen Volker ausschalten.‹ Also rief sie ihn zu einer Besprechung. Volker kam. Und weil er Vera immer schon verehrte und heimlich liebte, tappte er wie ein wahnwitziger Idiot in die Falle. Sie ging sogar soweit, mit ihm zu schlafen, bevor sie ihn umbrachte. Wirklich krank.«
»Die Grenzow hat ihn erschossen? Mit dem Plastik? Woher hatte sie das?«
»Von ihm, von Volker. Er hatte ihr zur Spielerei bei irgendeinem der vorherigen Treffen eine ganze Schachtel mit dieser Munition gegeben.«
»Und wieso Sahmer?«
»Sahmer und Schulze wollten sich absetzen. Sie waren der Meinung, jetzt erst einmal eine Pause von einem oder anderthalb Jahren würde gut tun. Schulze verschwand als Erster, ohne jede Vorahnung. Er war einfach weg, und das war seine Rettung. Sahmer wartete zu lange, wahrscheinlich fünf Minuten zu lange. Als er mit einem Taxi zur Gütt fuhr, war Vera schon hinter ihm her.«
»Aber wieso um Himmels willen Schulzes Frau? Das ist doch vollkommen hirnrissig.«
Er schüttelte den Kopf. »Durchaus nicht. Sie war gar nicht gemeint, sie war eine Panne. Sie müssen sich einfach den Zustand der Gruppe in Chemnitz vorstellen: Da war nach Volkers Tod das Chaos ausgebrochen. Wir kennen Volkers Gruppe genau. Grenzow, Sahmer und Schulze kannten nur ihn, er war der einzige, den sie von Angesicht zu Angesicht kannten. Aber er hatte zwanzig Leute. Beschatter, Babysitter, Auswerter, Programmspezialisten. Zwanzig Existenzen samt Familien. Und die drehten alle durch. Denn: Wenn Volker in der Eifel ermordet worden war, konnte es ja durchaus sein, dass irgendwelche Abgesandten von hier kamen, um andere Leute aus der Gruppe zu
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