Der Letzte Askanier
hatte 1348 die Pest die Südküsten Europas durchwandert. Von Dalmatien, Oberitalien und Südfrankreich breitete sich die Seuche nun tagtäglich weiter nach Norden aus und ließ vielerorts nur ein Drittel der Bevölkerung am Leben, und was sie zusammengehalten hatte – Liebe und Treue, Pflicht und Blutsbande – erwies sich als Trug. Jeder dachte nur noch an die eigene Rettung. Eltern ließen ihre wimmernden Kinder ohne Pflege zurück, wenn die Pestbeulen aufbrachen, und Frauen ihre Männer, wenn die Blut und Eiter spien. Die Alten sahen den Tod hohnlachend und mit klappernden Knochen auf seiner beinernen Mähre, hinwegsetzend über Zäune und Hecken. Der Pesthauch hing wie eine riesengroße giftige Wolke über den Ländern, und die Ärzte, gänzlich machtlos, empfahlen Enzian und Pimpinell, Baldrian und Zimt, Kardamom und Myrrhe, auch Eisenvitriol und Honig. Dem Volke wurde angeraten, eine gedörrte Kröte am Hals zu tragen und eine andere ins Fenster zu hängen.
Auch nach Erfurt war die Pest vorgedrungen. Die Leute waren gewarnt, denn der Schwarze Tod hatte sich durch allerlei Vorzeichen angekündigt. Weiße Schwalben waren durch die Stadt geflogen, und dann hatte sich eine rabenschwarze Wolke über die Stadt an der Gera gesenkt.
Meinhard von Attenweiler und Friedrich von Lochen standen auf den Stufen der Klosterkirche der Ursulinen in Erfurt, sprachen aber nicht von der Pest, sondern von Waldemar, obwohl seit dessen Sieg bei Heinersdorf bereits ein Jahr ins Land gegangen war. Ihre Gedanken weilten trotz der Pest bei Ludwig und dessen Zwist mit Karl und Waldemar.
»Für Ludwig war das schon ein schwerer Schlag, das Urteil des Fürstengerichts zugunsten Waldemars«, bekannte Meinhard, und seiner Stimme war das Bedauern über das eigene Versagen anzumerken. »Auch wenn ihm Karl die Mark nun fest versprochen hat – ich trau dem Frieden nicht, solange Waldemar noch lebt und das Feld nicht räumen will. Da hätt' ich mehr erreichen müssen.«
»Wie hättest du einen falschen echten Mann entlarven sollen?« fragte ihn Friedrich von Lochen in der Absicht, ihn zu trösten.
»Und wenn es eine Frau oder gar ein Kind gewesen wäre, das gesagt hätte: Ich bin der alte Markgraf Waldemar, Karl hätte auch die für echt erklärt«, sagte Meinhard klagend. »Was zählt das bei ihm schon? Er kauft die Leute, spannt sie für sich ein – und siehe da, aus einem hergelaufenen Pilgersmann wird ein Fürst. Es hat ihm die Lausitz eingebracht und Ludwig gehörig geschwächt, und nun ist er so stark, daß er es bald wagen kann, nach Rom zu ziehen und sich die Kaiserkrone aufzusetzen. Ich wette meinen Kopf darauf, daß dieser Waldemar so falsch ist wie eine Münze, die ich dir aus diesem Stückchen Holz hier präge.« Voller Zorn stieß er die Scheibe eines abgesägten Eichenastes die Treppen hinunter. »Aber das schwöre ich dir: Ich gebe nicht auf, bis ich diesem Waldemar die Maske vom Gesicht gerissen habe. Von wegen askanischer Fürst: Ein früherer Kammerdiener ist das, bestenfalls, wahrscheinlich aber nur einer, der beim echten Waldemar die Pferdeäpfel aufgehoben hat. Da kann er hundertmal bei Karl am Tische sitzen.«
Friedrich von Lochen sah ihn tadelnd an. »Nun hast du bis Johanni in meinem Haus gelebt und bist noch immer nicht versöhnt mit Gott und der Welt. Dein Jagdeifer ist ein wenig unchristlich, findest du nicht? Laß den armen Mann in Ruhe!«
»Ludwig ist mein Freund – und ihm ist bitteres Unrecht geschehen.«
»Ludwig ist mein Freund ebenso wie deiner«, erwiderte der Feldhauptmann, »und es wäre eine Erlösung für ihn, wenn er nicht mehr in diesem kalten und finsteren Brandenburg herrschen müßte, sondern frei leben könnte in Bayern und Tirol, wo ihn sein Herz hinzieht. Dies bedenke bitte.«
Meinhard hob die Hand zum Schwur. »Ich werde nicht eher ruhen, bis dieser Mensch, der sich Waldemar nennt, nackt und bloß dasteht als Betrüger!«
»Warum denn so erregt!?«
»Um der Wahrheit willen. Ich will wissen, wie die Dinge wirklich sind, den Schleier wegreißen, Karl entlarven – oder wen auch immer –, der diese Kreatur erschaffen hat.«
Friedrich von Lochen wies mit dem Daumen auf die Kirche hinter ihnen. »Maß dir nicht an, was allein Gottes Sache ist.«
Meinhard fuhr auf. »Gott ist in mir, Gott ist nicht das, was die Pfaffen machen, um über die Menschen zu herrschen.«
»Psst!« warnte ihn der Feldhauptmann. »Nicht so laut!«
»Ich schreie, wo ich schreien möchte.«
Friedrich von
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