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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Lochen seufzte. »Such dir endlich eine Frau, die Ruhe in dein Leben bringt.«
    »Hast du zufällig eine reiche Cousine, die so einen Bettelritter nimmt wie mich?« fragte Meinhard lachend.
    »Schlag dir endlich diese Leah aus dem Kopf!«
    »Das ist das zweite, was ich will, und ich werde nicht ruhen, bis ich sie habe, bis ich eins geworden bin mit ihr.«
    Meinhard hätte sich noch weiter in Eifer geredet, wenn nicht in der Altstadt unter ihnen ein gewaltiges Gedröhne und Gesumme aufgekommen wäre. Vereinzelt drangen Schreie zu ihnen hinauf.
    »Ob sie wieder einen aufs Rad geflochten haben?« fragte Meinhard. »Nein. Das muß etwas anderes sein. Komm, schauen wir mal.«
    Als sie unten an der Gera waren, sahen sie, was Erfurt derart erschütterte: Die Geißler hatten Einzug gehalten und sich in der Stadt vermehrt wie die Fruchtfliegen an einem schwülen Sommertag. Ihre Gesänge hallten durch die Straßen und waren lange zu hören, bevor sie den Zug zu Augen bekamen.
    Nun trete herzu, wer büßen will,
    Fliehen wir die heiße Hölle,
    Lucifer ist ein böser Geselle …
    Um Gott vergießen wir hier unser Blut,
    Das sei uns für die Sünde gut.
    Das war der Refrain, den die Geißler ständig wiederholten. Von allen Türmen läuteten ihnen zu Ehren die Glocken.
    Als Meinhard und der bayerische Feldhauptmann den Marktplatz erreichten, wurden sie Zeugen einer Zeremonie, wie sie sie noch nie gesehen hatten. Der Zug der frommen Geißler kam heran, und die Erfurter knieten nieder im Unrat der Straße und bekreuzigten sich eifrig. An die zweihundert Geißler mochten es sein, wie Meinhard schätzte. Ihr Anführer, den sie Vater Martin nannten, trug eine lange weiße Kutte mit einem purpurfarbenen Mantel darüber, lederne Halbstiefel, weiße Strümpfe und auf dem Kopf eine ebenfalls weiße Leinenhaube. Auf seiner Brust war eine weiße Taube mit einem Ölzweig im Schnabel zu sehen. In der linken Hand hielt er einen Pilgerstab und ein Paternoster, der ein Strick mit sieben Knoten war und ihm zum Geißeln diente, in der rechten ein großes Kreuz aus rohem Holz. Ihm folgten zehn Brüder, die kostbare samtene Fahnen und schön gewundene Wachskerzen trugen. Es schlossen sich paarweise die übrigen an. Manche trugen Mäntel und Hüte, die mit einem roten Kreuz versehen waren, unter ihnen zerlumpte, ausgemergelte Gestalten mit glasigem Blick, ohne Schuhe und Strümpfe, mit Füßen, die so blutig waren, daß die Straße hinter ihnen rote Flecken zeigte. Einige trugen schwere Kreuze auf dem Rücken, aus rohen Balken gezimmert.
    Nun knieten die Bußfertigen vor der Kirche nieder und sangen:
    Jesus ward gelabt mit Gallen,
    Des sollen wir zu Kreuze fallen.
    Daraufhin warfen sie sich nieder, daß es krachte und ihre Leiber am Boden Kreuze bildeten. So blieben sie eine geraume Weile liegen, bis sich die Vorsänger erhoben und wieder zu singen anfingen:
    Nun hebet auf wohl eure Hände,
    Daß Gott dies große Sterben wende;
    Nun hebet auf wohl eure Arme,
    Daß Gott sich über uns erbarme.
    Meinhard kam die Zeremonie zur Bekämpfung der Pest ebenso närrisch und sinnlos vor, als wollte man die Sonne dadurch zwingen, zwei Stunden länger zu scheinen, indem man ein Frühlingslied sang.
    Die Geißler standen indessen auf und rissen sich die Kleider herunter, daß sie mit nacktem Oberkörper in der Sonne standen. Auf ein Zeichen von Vater Martin streckten sie sich nun in weitem Kreise auf der Erde nieder, und jeder suchte durch Gebärden auszudrücken, was seine größte Sünde war, die Sünde, deretwegen der Herr die Menschen mit der Pest zu strafen suchte. Wer einen Meineid begangen hatte, streckte die Finger in die Höhe, ein Säufer setzte die hohle Hand an den Mund, ein Falschspieler schwenkte die Faust, als wollte er würfeln. Die Mörder legten sich auf den Rücken und die Ehebrecher auf den Bauch.
    Starr vor Staunen verfolgte Meinhard dieses ungewohnte Treiben, als Vater Martin plötzlich auf ihn zugeschossen kam. Zurückweichen konnte er nicht, hinter ihm standen die gaffenden Bürger.
    »Und du, Bruder«, fuhr der Geißler ihn an, »bist gänzlich ohne Schuld und Sünde, meinst, unschuldig daran zu sein, daß der Herr uns mit dem Pesthauch straft!?«
    Meinhard wollte am liebsten im Boden versinken, doch er brachte ein schwaches Nein heraus. Was blieb ihm anderes übrig?
    »Dann komm in unsere Mitte und stimme unseren Herrgott gnädig!« Damit zog er Meinhard in den Kreis der Geißler hinein und riß ihm das Gewand herunter. Aus Angst, daß

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